Wahlkampf in Berlin: Stille Nacht, plakatlose Nacht
Damit der Plakatwahlkampf nicht an Weihnachten startet, ändert das Parlament das Straßengesetz. Die Jagd auf die besten Laternen geht am 2. Januar los.
Schon früh haben die Mathematiker*innen unter den direkt von einer erneuten Wahl Betroffenen angefangen zu rechnen. Aus dem Datum der Urteilsbegründung des Gerichts ergab sich schnell der Tag der Wahlwiederholung, die der neue Landeswahlleiter festsetzt: laut Gesetz spätestens 90 Tage nach dem Urteil. Aus dem Wahltag wiederum – der 12. Februar 2023 – ließ sich der Beginn des sichtbaren Wahlkampfs auslesen: Sieben Wochen vorher dürfen die Parteien laut Straßengesetz beginnen, die Stadt mit ihren wichtigsten Köpfen und Slogans zuzukleistern. Das wäre in diesem Fall der 25. Dezember, 0 Uhr!
Auch wenn Berlin nicht als Hochburg der christlich Gläubigen gilt: Ein Wettrennen um die besten Plätze an Laternen und anderen Masten gerade mal zwei, drei, vier Stunden nach dem (hoffentlich harmonischen) Festessen im großen Familienkreis an Heiligabend wollte keine demokratische Partei ihren wahlkämpfenden Mitgliedern zumuten. Genügend Vertrauen, dass die anderen Mitstreiter*innen sich aber zu einer Art Pax Placatus überreden lassen würden – und sich dann auch noch daran halten! –, hatte aber auch keine. So musste eine ganz offizielle Lösung her.
Dringlicher Antrag
Im Falle von Abgeordneten heißt das: Gesetzesänderung. Schon bald war eine Ergänzung des erwähnten Straßengesetzes in der Diskussion. Wenige Tage vor dem Urteil des Verfassungsgerichts liegt nun der entsprechende Dringlichkeitsantrag vor, sodass am Donnerstag in der wegen des Nachtragshaushalts anberaumten Sondersitzung des Parlaments auch darüber gesprochen werden kann.
Darin ist nun eine explizite Lex Weihnachtensis vorgesehen: Zum einen wird die Frist für die Wahlwerbung entlang von Straßen im Falle „vorzeitiger Wahlen, Nachwahlen und Wiederholungswahlen“ auf sechs Wochen verkürzt. Zum anderen wird, sollte der entsprechende Beginn auf den 24. oder 31. Dezember fallen oder auf einen gesetzlichen Feiertag, der Start auf den folgenden Werktag festgelegt. Heißt für die Wahlkämpfer*innen: Auch Silvester darf wild gefeiert werden, am 1. Januar heißt es Ausschlafen, bevor es um Mitternacht losgeht mit der Jagd auf die besten Plätze.
Eine Mehrheit für den Antrag ist übrigens sicher: Alle Parteien außer der AfD unterstützen ihn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“