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Wahlkampf in Baden-Württemberg„Ja, Cem, das sollte dir zu denken geben“

Erstmals vor der Landtagswahl nächstes Jahr begegnen sich die Favoriten Manuel Hagel (CDU) und Cem Özdemir (Grüne). Unterschiede? Kaum vernehmbar.

Die Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Baden-Württemberg, Manuel Hagel (CDU, r.) und Cem Özdemir (Grüne) Foto: Marijan Murat/dpa
Benno Stieber

Aus Stuttgart

Benno Stieber

„Vielleicht kann man ja auch einfach gemeinsam einer Meinung sein“, schließt Manuel Hagel, CDU-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, den einzigen kleinen Schlagabtausch mit seinem grünen Kontrahenten Cem Özdemir. Es geht um Bürokratieabbau, und Özdemir hatte in der allgemeinen Begeisterung über Stellenabbau in der Verwaltung gesagt, an zwei Stellen solle man besser nicht kürzen: bei Bildung und bei Sicherheit. Hagel stimmt zu, Özdemir beharrt darauf, dass der Hinweis von ihm kam. Geplänkel, kein Unterschied in der Sache.

Am Donnerstagabend traten fünf Spitzenkandidaten und die Vertreterin der Linkspartei zur ersten Podiumsdiskussion vor der Landtagswahl im März an. Doch das erwartete Kräftemessen zwischen den Ministerpräsidenten-Anwärtern von CDU und Grünen bleibt aus. Stattdessen liefern sie einen vorsichtigen Tanz um Gemeinsamkeiten – wenig überraschend, regieren die Grünen unter Winfried Kretschmann seit acht Jahren mit der CDU als Juniorpartner. Der Wahlkampf wird sich, sofern nichts Unvorhergesehenes geschieht, vor allem um die Frage drehen, wer in der grün-schwarzen Koalition künftig Koch und wer Kellner ist.

Eingeladen hatte der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK). Er bat Vertreter aller Parteien, die laut Umfragen im nächsten Landtag sitzen könnten, aufs Podium. Auch Kim Sophie Bohnen, die die Liste der Linkspartei anführt, mischt mit. Mit viel Schwung greift sie in die Debatte ein, ohne dabei Ambitionen zur Regierungsbeteiligung zu haben. Ihre Partei liegt bei 7 Prozent und könnte erstmals in den Stuttgarter Landtag einziehen.

Entsprechend der gastgebenden Wirtschaftskammer dreht sich die Debatte um Bürokratieabbau, Energieversorgung und Fachkräftemangel, aber erstaunlich wenig um den inzwischen dramatischen Stellenabbau in der baden-württembergischen Automobilindustrie. BWIHK-Präsident Jan Stefan Roell fordert gleich zu Beginn: Man müsse Regularien abbauen, der Wirtschaft vertrauen und die Unternehmen „einfach mal machen lassen“.

Özdemir hofft auf seine eigene Popularität

Gemessen daran wirkt die von ihm moderierte Diskussion überreguliert. Strenge Sprechzeiten, lange Einspieler der IHK-Präsidenten und Ja-Nein-Kurzfragerunden, bei denen die Kandidaten grüne und rote Schilder hochhalten müssen, verhindern einen direkten Schlagabtausch. So bleibt die Behauptung des AfD-Spitzenkandidaten Markus Frohnmaier, seine Partei kenne keine Deutschen zweiter Klasse und setze auf gezielte Fachkräftemigration, unwidersprochen. Als Hagel einmal versucht, aus dem engen Korsett auszubrechen, wird er ausgerechnet von Weidels Mann in Stuttgart ermahnt.

Bis zum Wahltermin sind 24 solcher Veranstaltungen geplant – ein politischer Wanderzirkus. Man wünscht sich ein lebendigeres Drehbuch. Offiziell beginnt der Wahlkampf erst im neuen Jahr, doch die Spitzenkandidaten nutzen seit Sommer jede Gelegenheit zum Schaulaufen. Cem Özdemir stellte am Montag mit Joschka Fischer eine politische Biografie über den grünen Spitzenkandidaten, geschrieben vom Journalistenpaar Johanna Henkel-Waidhofer und Peter Henkel. Zudem absolvierte er im „Alles gesagt“-Podcast der Zeit einen rekordverdächtigen Sechs-Stunden-Auftritt.

Özdemir setzt auf seine Popularität: 41 Prozent der Baden-Württemberger würden ihn direkt wählen, seinen CDU-Kontrahenten nur 14 Prozent. Manuel Hagel hofft dagegen, dass die CDU ihren Vorsprung vor den Grünen hält. Derzeit liegt sie 9 Prozentpunkte vorn, Tendenz leicht fallend. Angesichts der Werte müsse Özdemir schon sein „Meisterstück“ abliefern, um zu gewinnen, hatte Wahlkampfroutinier Joschka Fischer angemerkt.

Und so gibt sich Özdemir, der ohnehin die Strategie fährt, sich mit bürgerlichen Positionen möglichst weit entfernt von seiner eigenen Partei zu profilieren, bei der Handelskammer besonders blassgrün. Bis hin zu dem Satz, es komme bei dieser Wahl ja weniger auf die Partei als auf die Persönlichkeit an und ob eine Idee gut ist. Da geht ein Raunen durch die Reihen der blauen Businessanzug-Träger.

Das Publikum kann während der Debatte per Handy Begriffe in eine Wortwolke schicken. Gemessen an der mutmaßlich eher konservativen Klientel des Abends liefert sie ein überraschendes Meinungsbild: „Hagel“ und „Cem“ stehen da fast gleich groß, neben „Aus vom Verbrenner-Aus“ und auch „AfD-Verbot“. Eins irritiere ihn, sagt Cem Özdemir noch am Schluss: In der Wortwolke stehe sein Name so dicht an dem Wort „CDU“. SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch kontert: „Ja, das sollte dir zu denken geben.“

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8 Kommentare

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  • Diese Wahl ist doch schon gelaufen. Jede Sonntagsfrage, egal von welcher Organisation sieht die Grünen bei nur noch ca. 17-20% (letzte Wahl 34%) und die CDU bei rund 29-34%. Jetzt hier so zu tun als hatte Özdemir überhaupt eine Chance ist Weltfremd.

  • Weder die Diskussion über Verbrenner-Aus noch AdD-Verbot wird irgendetwas wesentliches ändern. Selbst wenn das Verbrenner Aus ganz aufgehoben würde, würde das der deutschen Automobilindustrie nicht helfen. Im Gegenteil. Die würde noch mehr Zeit vertrödeln beim Umstieg auf Elektromobilität und würde dann



    Von der asiat. Autoindustrie noch leichter klein gemacht.



    Auch ein AdD Verbot würde höchstens 1-2 Jahre Zeit kaufen, solange die etablierten Parteien nicht radikal ihre Politik ändern, damit mindestens 70-80% damit zufrieden sind.



    Die einzige Frage, die wirklich relevant wäre und die Deutschlands Zukunft wirklich positiv beeinflussen könnte, wäre die Frage, ob man sich für eine Vermögenssteuer oder Vermögensabgabe für die Superreichen (also ab 100 Mio €) einsetzen würde, mit der das Defizit jeweils auf Max 3% reduziert werden könnte.



    Das würde Deutschland wieder wirklich voranbringen. Und es würde lediglich dazu führen, dass das Vermögen der Superreichen etwas langsamer wächst als im Augenblick.

  • Ich zitiere mich mal selbst von gestern: "Die Grünen wenden sich doch seit Joschka Fischer schon der Mitte zu - vom Steinewerfer zum Anzugträger - was er im Kleinen vollzogen hat, haben die Grünen im Großen vollzogen. Und ich sehe da auch das größte Potenzial, gerade wenn die Union immer weiter rechts blinkt. Realo-Grüne a la Baden-Württemberg. Da wird ordentliche Politik gemacht, sachlich ohne ideologische Verblendung. Habeck war da schon ganz gut auf Kurs, es zeigte sich nur während seiner Ampelzeit, dass er dann doch mehr sprachlich als wirtschaftlich begabt war. Baerbock war der gleiche Kompetenzausfall. Die Grünen müssen nur mal ordentliche Führungskräfte ans Zepter bringen, dann geht's wieder aufwärts."



    Just einen Tag später nun dieser Artikel🤷



    Wenn die Union sich immer weiter von mitte rechts abwendet ist dort eine große Lücke für Realo-Grüne.



    Man muss nur ähnlich wie Die Linke das BSW losgeworden ist, sich vom linken Flügel trennen. Der flirtet eh längst mit der Linken.



    Am linken Rand gilt das gleiche wie rechts: im Zweifel wird das Original gewählt.



    Die Grünen müssen sich entscheiden ob sie vollends bürgerlich oder wieder links werden wollen, beides geht nicht.

    • @Saskia Brehn:

      Gute Beschreibung der aktuellen Situation. Es sind einfach nicht mehr die Grünen für die ich früher mal war.

      • @Hans Dampf:

        …anschließe mich



        Schonn. But.

        Was sagen die Aficinados?



        & da capo as ollen Cato 🙀



        Sage ich wie eiin paar Blätter zuvor



        Zum “alten 🤬“ ©️ PU sei Perle -



        Tricky-Christy 🏎️ Lindner! Woll



        “PU übernehmen Sie!“ 🥳🧐



        Dank im Voraus & 🧹🧹🧹tipitoppi



        Hauptsache & Gellewelle

  • Warum sollte man "Grüne" wählen, die dann CDU Politik machen, so wie die Grünen seit vielen Jahren in Baden-Württemberg?

  • Korrekterweise müssten Politiker in DE längst ein "von" in ihrem Namen tragen.



    Besonders die Grünen haben gezeigt das sie längst genauso drauf sind wie die die dieses "von" damals in ihren Namen trugen. Beispielsweise Barbock, abgewählt und als inkompetent betitelt und abgestraft kann die noch hin gehen und sich zur "Gesandten" machen, auf Kosten einer Bürgerlichen. Das ist zu 100% die Vorgehensweise Adeliger.

  • Die 'Offenheit' und Wendigkeit von Cem Özdemir gibt mir schon zu denken, es wirkt fast schlimmer als seine Mitbewerber. Und mir fällt echt nichts auf an seinem 'Wahlkampf' , das nach einem grünen Profil aussieht. Solche 'Persönlichkeiten' bräuchten wir eher nicht, da ist mir ein stramm Konservativer, an dem man sich reiben kann, deutlich lieber, wenn sich an ihm ein echter Wahlkampf entzündet. Alles andere ist Wählerverarschung....