Wahljahr 2013: Täuschung im großen Stil
Keine Koalition ist ausgeschlossen, der Lagerwahlkampf pure Inszenierung. Doch die wird erst nach der Wahl in Niedersachsen richtig losgehen.
Ein guter Bluffer zeichnet sich beim Poker dadurch aus, dass er seinen Mitspielern ein schlechtes Blatt als hervorragend verkauft. In der Politik funktioniert das Spiel im Grunde so ähnlich, nur dass Politiker nicht allein den Gegner täuschen, sondern auch die WählerInnen.
Bereits jetzt steht fest: 2013, das Jahr der Bundestagswahl, wird eines der politischen Bluffs. Dafür spricht nicht nur das Naturgesetz, dass Politiker vor Wahlen besonders gerne die Realität in ihrem Sinne frisieren. Sondern auch die einzigartige Konstellation in der Parteienlandschaft, die die Parteien zur Unehrlichkeit geradezu zwingt.
Da wäre zunächst Angela Merkel. Die Kanzlerin weiß, dass sie auf eine FDP, deren Spitzenkräfte die Selbstzerstörung kurz vor dem Dreikönigstreffen konsequent vorantreiben, nicht zählen kann. Dennoch lobt sie die zerrütteten Liberalen über den Klee, versteigt sich gar zu der gewagten These, Schwarz-Gelb, diese „Gurkentruppe“ (CSU über die FDP), sei die „erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung“. Ist Merkel realitätsblind?
Auch die Gegenseite täuscht nach Kräften: Peer Steinbrück und Jürgen Trittin wissen, dass eine Mehrheit für Rot-Grün mehr als fraglich ist. Die Kanzlerin ist beliebt, von Wechselstimmung fehlt in der Republik jede Spur, und die unprofessionelle Performance Steinbrücks lässt die Zweifel wachsen, dass sich daran bis September irgendetwas ändert. Dennoch gehen die wichtigsten Köpfe von SPD und Grünen an keinem Mikrofon vorbei, ohne zu betonen, Rot-Grün sei 2013 unausweichlich. Spinnen die?
Autosuggestion
Nein, alle, egal ob rechts oder links, betreiben eine notwendige Autosuggestion. Alle wissen, dass die Lager nicht mehr taugen. Und dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Gegner am Ende in einer großen, einer schwarz-grünen oder in einer Ampelkoalition miteinander kooperieren müssen.
leitet das Parlamentsbüro der taz. Er schreibt vor allem über die Kanzlerin, die CDU und die Grünen. Zuvor war er Chef des Inlandsressorts.
Die Parteien führen also keinen echten Lagerwahlkampf, sondern sie inszenieren ihn. Dabei ist es nur rational, das Trennende zu betonen, um die eigene Klientel zu mobilisieren. Die große Koalition, eine wahrscheinliche Variante, wirkt auf die meisten CDU- und SPD-Wähler ja entweder einschläfernd oder abstoßend.
Diese Dialektik wird das Wahljahr prägen. Einen ersten Höhepunkt des Dauerbluffs bildet die Landtagswahl in Niedersachsen. Am 20. Januar wählen die BürgerInnen ein neues Parlament, der SPD-Herausforderer Stephan Weil will zusammen mit den Grünen den beliebten CDU-Regierungschef David McAllister stürzen.
Die rot-grünen Spindoktoren werden einen Sieg (nach Siegen in sechs weiteren Ländern seit 2011) als Vorgeschmack auf den Bund interpretieren. Wider besseres Wissens. Jeder Politikprofi weiß, dass die Situation in Niedersachsen nicht auf den Bund übertragbar ist. Nur für die FDP ist das Ergebnis wegweisend für den Bundestagswahlkampf.
Die Wahl in Niedersachsen
Ansonsten steuert Hannover auf ein Parlament zu, in dem drei, vielleicht vier Parteien vertreten sein werden. Im Bundestag wird es mehr Fraktionen geben, allein weil die Linkspartei sicher hineinkommt. Rein rechnerisch ist deshalb die Chance für Rot-Grün im Bund viel geringer als in Niedersachsen.
In puncto Koalitionsoptionen lautet deshalb die Devise in den Parteizentralen: „Wir können uns alles vorstellen, aber das sagen wir nicht.“ Die taktische Lage ist also diffus. Werfen wir daher einen Blick auf die inhaltliche Ausrichtung der Parteien. Wenn man schon nicht sagen kann, wer am Ende mit wem regiert, ist zumindest klar, wer für welches Thema steht.
SPD und Grüne legen erkennbar einen Schwerpunkt auf soziale Themen. Sie betonen die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Sie geißeln, dass immer mehr arbeitende Menschen von Niedriglöhnen nicht leben können. Sie wollen Profiteure der Finanzindustrie für die Krisenkosten zahlen lassen.
Dafür bieten sie einige richtige Instrumente an: einen Mindestlohn, einen höheren Spitzensteuersatz bei gleichzeitiger Entlastung unterer und mittlerer Einkommen, eine Vermögensabgabe für Millionäre. Aber ob das reicht, um die beliebte Kanzlerin aus dem Amt zu hebeln?
Merkel, die Meisterin des politischen Bluffs, ist ja nicht faul und verringert geschickt mögliche Angriffsflächen. So plädiert Merkels CDU inzwischen auch für einen Mindestlohn, und die Arbeitsministerin darf für höhere Renten für Niedrigverdiener werben. Bei genauem Hinsehen sind solche Versprechen Fassade und keine tatkräftige Politik: Die Lohnuntergrenze ist so gestrickt, dass eine Friseurin weiter für einen Tariflohn von gut 4 Euro arbeiten müsste, und Ursula von der Leyen vertritt in der CDU eine Minderheitsposition.
Dennoch befördern solch sozial anmutende Inszenierungen in bürgerlichen Milieus eine Stimmung, die Merkel nutzt: Wir stehen für wirtschaftliche Stabilität – und kümmern uns dabei auch um die sozialen Probleme. Die Unterprivilegierten fallen bei uns modernen CDUlern nicht durch den Rost.
Das Gefühl der Mitte treffen
Diese Devise wäre natürlich schwerer durchzuhalten, meldeten sich diejenigen politisch zu Wort, die von einem Mindestlohn tatsächlich profitierten. Doch die Wahlbeteiligung von Niedrigverdienern und Arbeitslosen geht zunehmend gegen null. Also muss die Politik sie auch nicht mehr fürchten. Die Wahl gewinnt deshalb der, der das Lebensgefühl der deutschen Mittelschicht trifft. Und ob sich die Mittelschicht ernsthaft für die soziale Frage interessiert, ist noch offen.
Während Rot-Grün 1998 nach 16 Jahren Helmut Kohl genau diese kulturelle Hegemonie in der Mitte besaß, sieht es heute anders aus. Merkel genießt auch in der rot-grünen Wählerschaft große Anerkennung, ihr unprätentiöser Stil trifft einen Nerv. Der Mitte geht es gut in Deutschland, die europäische Krise ist scheinbar weit weg. Die Geldgier und die Korruption der südeuropäischen Eliten lassen sie den Kopf schütteln. Warum also jemand anderen zum Kanzler machen?
Zumal just die politische Alternative, der SPD-Kanzlerkandidat, mit immer neuen Volten aufwartet, die alle um Geld und persönliche Eitelkeit kreisen. Also die Mittelschicht auf doch recht unschöne Weise spiegeln.
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