piwik no script img

Wahlergebnisse in OstdeutschlandRamelow holt Wahlkreis

In den ostdeutschen Flächenländern hat die AfD mehr als 30 Prozent der Stimmen bekommen. In Thüringen ging nur ein Direktmandat nicht an sie.

Silberlocke Bodo Ramelow holte ein Direktmandat Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Erfurt taz | Als Bodo Ramelow, der ehemalige linke Ministerpräsident Thüringens, die Bühne der Wahlparty im Erfurter Kulturbahnhof „Zughafen“ betritt, jubeln ihm die Linkenmitglieder zu, manche skandieren seinen Namen. Ramelow hebt beschwichtigend den Zeigefinger. In rotes Licht getaucht steht am Sonntagabend ein eher junges Publikum vor großen Boxen und feiert.

Es gibt anhaltenden Applaus für die Ergebnisse der Linken. Vor wenigen Wochen lag die Partei in Umfragen noch bei 3 Prozent, laut vorläufigem Ergebnis landet sie bei 8,8 Prozent. In Thüringen haben 15 Prozent die Linke gewählt. Dass sie sich Ende Januar gegen die ablehnende Migrationsdebatte stellte, zahlte sich aus. Erfolgreich war sie zudem mit ihrem Wahlkampf auf Social Media. Bei den Erst­wäh­le­r:in­nen hat die Linke den höchsten Stimmenanteil bekommen: 27 Prozent.

Im Erfurter Zughafen löst neben den eigenen Ergebnissen am Sonntagabend auch Freudenrufe aus, dass FDP und BSW in den Hochrechnungen unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen. Und auf der Leinwand hinter Ramelow zeigen rote und braune Balken um kurz nach 20 Uhr: über die Hälfte der Stimmen im Wahlkreis 192 sind ausgezählt, Ramelow liegt mit mehreren tausend Stimmen vor dem Kandidaten der AfD. Das Direktmandat hat er so gut wie sicher.

Doch trotzdem und trotz Jubel beginnt Bodo Ramelow seine Ansprache mahnend. „Ich will gleich sagen, es quält mich, wenn ich den blauen Balken für Thüringen als Ganzes sehe.“ Das AfD-Ergebnis im Freistaat wird am Ende des Abends bei 38,6 Prozent liegen. Die rechtsextreme Partei wird fast alle Direktmandate in Thüringen gewinnen – bis auf das im Wahlkreis 192, der Erfurt, Weimar und einen Teil des Weimarer Lands umfasst. Auf der Bühne erklärt Ramelow: „Wenn man den ganzen Tag Politik macht, indem man nur nachquatscht, was die Blauen sagen, dann gehen die Menschen auch zu den Blauen.“

AfD mache sich größer

Ähnliche Ergebnisse wie in Thüringen bekam die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen (37,3 Prozent), Sachsen-Anhalt (37,1 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (35 Prozent) und Brandenburg (32,1 Prozent). Zudem sicherte sie sich alle oder fast alle Direktmandate in diesen Bundesländern. In Sachsen hat nur in Leipzig Süd der Linke Sören Pellmann noch eins gewonnen und in Brandenburg konnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Wahlkreis verteidigen.

Das Blau der AfD auf den Wahlergebniskarten zeigt mal wieder die Konturen des ehemaligen DDR-Gebiets auf – aber so deutlich war es noch nie. In 46 Wahlkreisen hat die AfD Direktmandate gewonnen. 45 davon liegen in ostdeutschen Flächenländern und einer in Ost-Berlin. Auch wenn durch die Wahlrechtsreform voraussichtlich vier davon nicht in den Bundestag einziehen. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die AfD 16 Direktmandate bekommen, alle in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. In diesen drei Ländern bekam sie auch schon vor fünf Jahren die höchsten Zweitstimmenergebnisse: 24,6 Prozent in Sachsen, 24 Prozent in Thüringen und 19,6 Prozent in Sachsen-Anhalt. Auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern war das AfD-Ergebnis mit 18 Prozent deutlich höher als in den übrigen Bundesländern.

Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent betonte gegenüber der dpa nach der Wahl am Sonntag: In Deutschland lehne weiterhin eine Mehrheit die AfD ab, auch in den Bundesländern, in denen sie besonders stark ist. Ob die Partei bei der nächsten Wahl noch weiter zulegen könne, sei nicht ausgemacht. Die AfD mache sich „größer, als sie eigentlich ist“. Das AfD-Ergebnis in Deutschland sei zwar beunruhigend, „aber jetzt auch angesichts der Krisen in den letzten Jahren nicht außerhalb des Trends“, erklärte der Professor von der Hochschule Magdeburg-Stendal.

In anderen europäischen Staaten bekämen Rechtsaußenparteien um die 30 Prozent. Trotzdem: In ländlichen Regionen sei die AfD stärkste Partei und sie erreiche viele Menschen. „Ihre Etablierung geht weit über ein rechtsradikales Milieu hinaus, also über diejenigen, die rechtsradikal ausländerfeindlich eingestellt sind“, sagte Quent.

Eigentlich sei Thüringen weltoffen, so Ramelow

Im Zughafen hat sich Bodo Ramelow auf ein Sofa im Backstage-Bereich gesetzt. Die Musik der Wahlparty dringt nur gedämpft durch die Tür. Gemeinsam gehen Ramelow, sein Team und seine Frau Germana Alberti vom Hofe die aktuellen Hochrechnungsergebnisse durch. Die AfD liegt zu diesem Zeitpunkt bei 43 Prozent.

Wie bewertet Ramelow die Zahl? „Ich habe Angst vor einem Land, in dem 43 Prozent blau wählen.“ Eigentlich sei Thüringen auf Weltoffenheit und „gelingende Zuwanderung“ angewiesen, antwortet er energisch. Bei dem Thema dürfe man nicht „den ganzen Tag über störende Ausländer reden“. Das gelte auch für „die neue Landesregierung, die nichts Besseres zu tun hat, als allererstes Abschiebehaftplätze zu schaffen“.

Aber nicht nur von der Politik, auch von Un­ter­neh­me­r:in­nen und Medien wünsche sich Ramelow Verantwortung, „damit der Faschismus nicht gewinnt“. Die ersten Zahlen aus seinem Wahlkreis machten ihm da Mut, sagt Ramelow. Auch wenn er nun in den Bundestag einziehe, Thüringen bleibe er erhalten.

Etwa anderthalb Stunden später, um kurz vor halb elf, gilt der Wahlkreis 192 als final ausgezählt. Ramelow gewinnt das Direktmandat mit 36,8 Prozent und etwa 10 Prozentpunkten Vorsprung. Das thüringenweite AfD-Ergebnis geht zumindest um ein paar Prozentpunkte zurück. Die Partylaune im Zughafen drückt es trotzdem merklich.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Das Kartenbild sagt : ein roter Fleck im Braun. Beim Arzt heißt so etwas :Blut im Stuhl und ist ein Alarmzeichen.



    Es scheint für Faschisten wirklich auszureichen, etwas Blondes vorne hin zu stellen, das wütend wirres Zeug redet, empört guckt (trump, johnson, wilder, ll pen, Meloni) und das wird gewählt. Sachsenwahlkreise AfD 45+x %. Im Westen ist noch eine schwarze Decke über dem Braun.



    Es ist zum....

    • @Monomi:

      Weidel erscheint mir eher ein mehr oder weniger gelungenes Feigenblatt. Die wirkliche Gefahr heißt Gauland/Höcke und die, die hinter Höcke stehen.

  • Guten Morgen aus Sa-A, wo die AfD alle 8 Direktmandate geholt hat - in meinem Wahlkreis mit 44% (Zweitstimmen knapp 43%)



    Die neue Realität.



    Im Mai sind in meiner Kommune OB-Wahlen, rein im Stadtgebiet hat die AfD immer noch 37%.



    Der CDU-Amtsinhaber ist nicht sonderlich beliebt, auch bei mir nicht.



    Es gibt Gründe dafür. Mehr als genug.



    So hölt die AfD auch abseits direkter Mehrheiten meinen Spielraum als Staatsbürgerin und Wählerin aus.



    Denn welche Wahl werde ich denn haben? Zwischen Pest und Cholera?