piwik no script img

Wahlen in UruguayWiderstand ist angesagt

Jürgen Vogt
Kommentar von Jürgen Vogt

Rechnerisch wird die Entscheidung knapp, aber de facto hat sich die Rechte durchgesetzt. Damit sind die sozialen Errungenschaften in Frage gestellt.

Luis Lacalle Pou, Präsidentschaftskandidat der konservativen Partido Nacional Foto: Matilde Campodonico/ap/dpa

U ruguay ist nach rechts gerückt. Während sich in Ecuador die Bevölkerung erfolgreich gegen einen verkappten neoliberalen Präsidenten zur Wehr setzt, sich die Menschen in Bolivien gegen den Durchmarsch der extremen Rechten stemmen, in Chile soziale Unruhen die Erosion der allmächtig-neoliberalen Ordnung vorantreiben, in Kolumbien Hunderttausende gegen den rechten Präsidenten protestieren und Argentiniens konservativer Präsident an den Urnen durch einen gemäßigt-linken Präsidenten ausgetauscht wird, stimmt Uruguay – knapp – für den Ruck nach rechts.

Rechnerisch ist die Entscheidung so eng, dass zunächst noch kein endgültiges Wahlergebnis der Stichwahl verkündet werden kann. Aber dass praktisch alle der noch einzupflegenden etwas über 30.000 Stimmen für den Kandidaten des Mitte-Links-Bündnisses Frente Amplio abgegeben wurden, so dass Daniel Martínez doch gewonnen hätte, ist extrem unwahrscheinlich. So ist es eine Frage von Tagen, dass der rechte Kandidat Luis Lacalle Pou zum Sieger der Stichwahl um die Präsidentschaft erklärt wird.

Außenpolitisch wird sich dieser Ruck bei Lacalle Pous Amtsantritt im März bemerkbar machen. Mit der neutralen und vermittelnden Haltung, die Uruguay zusammen mit Mexiko gegenüber Venezuela eingenommen hat, ist es dann vorbei. Die Drähte zu den USA werden eine tiefgreifende Erneuerung erfahren und die angeschlagenen rechten Präsidenten der Region werden den neuen Verbündeten in Montevideo als Hoffnungszeichen gegen die Rückkehr des linken Populismus begrüßen, der in Argentinien in Gestalt von Alberto Fernández vor wenigen Wochen zum Präsidenten gewählt wurde und seither versucht die versprengten Reste der linksprogressiven Ära wieder zusammenzubringen.

Unter Uruguays sozialen Basisorganisationen und Gewerkschaftsverbänden könnte Lacalle Pous Triumph jedoch für eine kämpferische Stimmung sorgen. Fünfzehn Jahre Präsidentschaft der Frente Amplio haben viele Initiativen und Vorstöße in diesem breiten Bündnis geschliffen, verzögert oder schlicht verhindert.

Gegen einen rechten Präsidenten und seine Allianzen mit Rechtsextremen und Militaristen wird sich im Parlament und vor allem außerparlamentarisch der Widerstand neu formieren und Forderungen stellen. Und er wird die progressiven Errungenschaften der Frente-Zeit verteidigen. Zukünftig könnte auch Uruguay für unruhige Schlagzeilen sorgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Vogt
Korrespondent Südamerika
Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Den sozialen Fortschritt hat in Uruguay schon vor weit über 100 Jahren die Rote Partei geschaffen ("Batllismo"). Ganz am Beginn des 20.Jahrhunderts der allgemeinen Zeitrechnung setzen die „Colorados“ in Uruguay unter der politischen Führung von José Batlle y Ordoñez Reformen um, die in jenem Moment in Europa noch undenkbar waren. Von einem ausgeprägten Laizismus – es gibt wohl bis heute kein anderes westliches Land indem Weihnachten „Tag der Familie“ heisst oder die Osterwoche „Woche des Tourismus“ – über soziale Reformen wie das weltweit erste Gesetz eines 8-Stundes-Tages oder die Scheidung auf alleinigen Antrag der Frau (1907). Die „Partido Colorado“ war eben eine klassisch liberale Partei aus der Zeit der Unabhängigkeit der Republik und keine sozialistische Partei des Klassenkampfes, den sie entschieden ablehnte. Ziel war der soziale Frieden und eine „glückliche Republik“.



    Die "Breite Front" als Bündnis von Sozialisten, Christdemokraten und ehemaligen Teroristen gibt es erst seit 1971, mit letzteren seit 1984.



    Für die Restaurierung des demokratischen und toleranten Uruguay. Um politische Konglomerate, die mit Diktaturen symphatisieren, arrogant und intolerant auftreten, von der Macht zu entfernen, sind alle demokratischen und republikanischen Parteien - auch historische Gegner - aufgerufen einen Konsens zu erarbeiten. Uruguay macht es aktuell vor: Vor der Stichwahl um die Präsidentschaft am 24.11. bildeten neben den beiden grossen Traditionsparteien, den Roten (progressiv-liberal/sozialdemokratisch) und den Weissen (Nationalisten) auch drei neuere, kleinere Parteien die "vielfarbige" Koalition: Cabildo Abierto (vergleichbar mit AfD), Partido Independiente (sozialdemokratisch) und Partido de la Gente (pro Wirtschaft).