Wahlen in Südkorea: Garantiert gespalten
In Südkorea wird am Dienstag ein neuer Präsident gewählt. Den beiden aussichtsreichsten Kandidaten ist nur eines gemein: Sie polarisieren.

Kims Einmanndemo mag außergewöhnlich erscheinen, doch sein Anliegen ist es ganz und gar nicht: Fast 40 Prozent aller Arbeitnehmer in Südkorea werden mittlerweile durch Subunternehmen beschäftigt. Sie verrichten dieselbe Tätigkeit wie ihre angestellten Kollegen, doch verdienen oftmals nur die Hälfte.
„Die Gerechtigkeit kommt zwar nur langsam, aber sie kommt“, sagt der 23-jährige Song Ye Eun, ein engagiertes Gewerkschaftsmitglied aus der Satellitenstadt Gwacheon. Seit Monaten zieht er jeden Morgen vor die Hanhwa-Firmenzentrale in Seoul, um den Protest des Werftarbeiters Kim Hyoung Soo zu unterstützen.
Am Dienstag werden die Kims dieses Landes auch über die politische Zukunft entscheiden. Dann nämlich wählen die Südkoreaner ein neues Staatsoberhaupt. Die vorgezogenen Neuwahlen sind bereits jetzt historisch aufgeladen: Zum einen besiegelt der Urnengang endlich die mehrmonatige Staatskrise, die der erzkonservative Ex-Präsident Yoon Suk Yeol Anfang Dezember auslöste, als er vollkommen überraschend das Kriegsrecht ausrief – angeblich, um die freiheitliche Ordnung des Landes zu schützen.
Wirtschaftliche Konkurrenz aus China
Damals stand die Demokratie Südkoreas für wenige Stunden tatsächlich auf Messers Schneide. Nur der Achtsamkeit der Zivilgesellschaft und der Hunderttausenden Demonstranten ist es zu verdanken, dass das Land am Han-Fluss nicht wieder in alte autoritäre Zeiten zurückgefallen ist.
Doch die eigentlichen Probleme der Gesellschaft sind damit noch keineswegs gelöst. Einerseits hat der ostasiatische Tigerstaat in nur wenigen Generationen den wohl beeindruckendsten Aufstieg des 20. Jahrhunderts hingelegt: von bitterer Armut zur Hightechwirtschaft, von einer Militärdiktatur zur lebhaftesten Demokratie Asiens und schließlich auch zur schillernden Kulturnation, deren Popbands und Fernsehserien weltweit für Begeisterung sorgen.
Gleichzeitig brodelt es jedoch unter der glitzernden Oberfläche Südkoreas. Die einstigen Wachstumsmotoren, von Computerchips über Schiffsbau bis hin zur Autoindustrie, werden mittlerweile durch die Konkurrenz aus China bedroht. Südkoreas Geburtenrate, die niedrigste der Welt, bremst das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft zusätzlich.
Und auch die kollektiven Traumata der Vergangenheit wirken nach wie vor in die Gegenwart hinein. Da wären die Gräuel der japanischen Kolonialzeit (1910–1945), die bis heute zu gesellschaftlichen Grabenkämpfen führen. Oder die Teilung der koreanischen Halbinsel und die damit einhergehende Bedrohung durch den nuklear aufgerüsteten Norden.
Vor allem aber ist die bleierne Zeit der Militärdiktatoren nach wie vor omnipräsent. Erst Ende der 1980er haben sich die Südkoreaner freie Wahlen erkämpft. Die Folter- und Verhörkammern, in denen regelmäßig Gewerkschafter und Studentenaktivisten verschwanden, sind keineswegs museale Relikte. Für eine ganze Generation sind sie nach wie vor gelebte Erinnerungen.
Die gesellschaftlichen Turbulenzen werden sich auch beim Urnengang am Dienstag zeigen. Dort stehen sich zwei Kandidaten mit geradezu gegensätzlichen Weltbildern gegenüber: Der 73-jährige Kim Moon Soo, der einst als Studentenanführer mit dem Kommunismus sympathisierte und sogar inhaftiert wurde, hat sich im Zuge seiner Politikerkarriere zu einem erzkonservativen Hardliner entwickelt. Gegen ihn tritt der linke Oppositionsführer Lee Jae Myung, 60, an, der als Jugendlicher in Fabriken ausgebeutet wurde und sich später als Menschenrechtsanwalt einen Namen machte.
In den Wahlprogrammen beider Kandidaten gibt es praktisch keine Überschneidungen: Der rechte Kim stellt den Unternehmen eine Deregulierung in Aussicht, möchte einen harten Kurs gegenüber China fahren und zur Selbstverteidigung taktische Nuklearwaffen der USA nach Südkorea holen. Der linke Lee hingegen verspricht, den Sozialstaat auszubauen, die Energiewende zu beschleunigen und sowohl mit Peking als auch Pjöngjang einen Annäherungskurs zu forcieren.
„Ich bin sehr besorgt über die Polarisierung in Südkorea. Und sie wird immer tiefer“, sagt Heo Jin Jae vom Meinungsumfrageinstitut Gallup. Der Demoskop ist in den 18. Stock des Korea Press Center gezogen, um seine aktuellen Umfrageergebnisse mit den anwesenden Korrespondenten zu teilen. Und Heos bunte Powerpoint-Präsentation spricht eine eindeutige Sprache: Der Herausforderer Lee Jae Myung führt aktuell mit 51 Prozent, während Kim Moon Soo nur auf 40 Prozent Zustimmung kommt. Der Grund dafür ist simpel: Während das linke Lager geeint ist, tritt das zerstrittene konservative Lager mit zwei Kandidaten an, die sich gegenseitig schaden.
Lee Jun Seok ist der unangefochtene Bad Boy des diesjährigen Wahlkampfs. Mit seinem jugendlichen Charme und den radikal unkonventionellen Ideen versucht sich der 40-Jährige als eine Art Mischung aus Emmanuel Macron und Elon Musk zu inszenieren. Doch vor allem polarisiert der ehemalige Harvard-Abgänger und Start-up-Gründer mit seiner konfrontativen Rhetorik. Und diese zielt vor allem auf eine bestimmte Gesellschaftsgruppe ab: Feministen. So setzt sich Lee etwa offen für die Abschaffung des Gleichstellungsministeriums ein, da dieses angeblich für eine „umgekehrte Diskriminierung“ von Männern sorge.
„Das Problem junger Männer, die Feminismus hassen, ist in den letzten Jahren immer größer geworden“; sagt die 22-jährige Young Eun, die Stadtplanung und deutsche Literatur studiert: „Ich finde es deprimierend, dass es keine einzige weibliche Kandidatin bei den diesjährigen Wahlen gibt. Niemand repräsentiert unsere Stimmen! Aber in Südkorea scheint dies gar nicht mal als Problem wahrgenommen zu werden.“
Dabei belegt ein Blick auf die Statistiken, wie patriarchal Südkorea nach wie vor geprägt ist: In keinem OECD-Staat ist der Gender-Pay-Gap größer, auch bei Gewaltverbrechen sind überproportional Frauen die Opfer. Gleichzeitig sind die Vorstandsetagen der großen Unternehmen nur zu knapp 15 Prozent weiblich besetzt, auch im Parlament sind es weniger als 20 Prozent. Umso deprimierender ist es, dass Frauenrechte bei keinem der führenden Kandidaten unter den zehn wichtigsten Wahlthemen auftauchen.
Ganz gleich also, wer am Dienstag die Wahl gewinnen wird – ein zentrales Versprechen wird er unmöglich einlösen können: das Land zu einen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil zu Asylpolitik
Zurückweisungen sind rechtswidrig
Urteil zu Zurückweisungen an den Grenzen
Dobrindt hätte die Wahl
Kontroverser Pulli von Jette Nietzard
Hausverbot für Klöckner!
Sugardating
Intimität als Ware
Palästina-Solidarität
Greta Thunberg bringt Hilfsgüter per Segelschiff nach Gaza
Verkehrswende in Berlin-Lichtenberg
Keine Ruhe