Wahlen in Kanada: Trudeau kann weitermachen

Kanadas Premierminister Justin Trudeau kann weiterregieren. Aber ohne absolute Mehrheit im Parlament ist er auf die Opposition angewiesen.

Justin Trudeau steht mit seiner Frau und zwei Kindern auf einer Bühne

Kanadas First Family bleibt im Amt: Justin Trudeau samt Frau und Kindern bei der Wahlparty Foto: rtr

VANCOUVER taz | Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Kanada hat die liberale Partei von Premierminister Justin Trudeau erneut die meisten Mandate gewonnen. Allerdings verfehlte Trudeau sein selbst erklärtes Ziel einer absoluten Mehrheit und muss das flächenmäßig zweitgrößte Land der Erde daher weiter als Chef einer Minderheitsregierung aus der Coronapandemie führen.

„Die Kanadier haben uns heute zurück zur Arbeit geschickt“, rief Trudeau am späten Montagabend bei einem Auftritt in Montreal, nachdem die meisten Prognosen veröffentlicht waren. „Millionen haben für eine zukunftsgerichtete Politik gestimmt und dafür, dass wir die Pandemie bald hinter uns lassen können. Auch wer nicht für uns gestimmt hat, kann sich auf uns verlassen“, versprach er.

Nach vorläufigen Ergebnissen kamen die Liberalen auf 158 Mandate, fast genauso viele wie bei der Wahl vor zwei Jahren. Für eine absolute Mehrheit wären 170 Sitze nötig gewesen. Die Konservativen unter Oppositionsführer Erin O’Toole konnten ihr Ergebnis mit 119 Sitzen halten. Die Separatisten aus der Provinz Québec errangen 34, die Sozialdemokraten kamen auf 25, die Grünen auf zwei Mandate.

Damit ändert sich in Kanada wenig: Trudeau ist weiter auf die Mitarbeit der Opposition angewiesen. Koalitionsregierungen sind in Kanada unüblich, weswegen die meisten Beobachter davon ausgehen, dass sich Trudeau im Parlament in Ottawa wechselnde Mehrheiten sucht, insbesondere bei den Sozialdemokraten unter Parteichef Jagmeet Singh, der sein Wahlergebnis ausbauen konnte.

Trudeau ist glimpflich davongekommen

Für Trudeau ist das Ergebnis eine Enttäuschung, zumal seine liberale Partei mit rund 32 Prozent landesweit rund 2 Prozentpunkte weniger Stimmen bekam als die Konservativen unter Erin O’Toole, die 34 Prozent erreichten. Nur dank des Mehrheitswahlrechts und der Stärke der Liberalen in den großen Städten rund um Toronto und Montreal kann Trudeau sich weiter an der Macht halten.

Doch gemessen am Verlauf des Wahlkampfes ist der einstige politische Sunnyboy damit wahrscheinlich noch glimpflich davongekommen. Zwischenzeitlich hatte Trudeau in Umfragen weit zurückgelegen und es hatte lange so ausgesehen, als würde der 49-Jährige die Macht womöglich ganz abgeben müssen. Dank eines engagierten Wahlkampfes konnte er dieses Szenario im Schlussspurt aber gerade noch abwenden.

Viele Kanadier waren verärgert, dass Trudeau mitten in der Pandemie eine Wahl angesetzt hatte, die politisch nicht nötig war. Tatsächlich hatte er bis zum Sommer alle Vertrauensabstimmungen im Parlament gewonnen und die Opposition war bereit gewesen, seine Regierung in der Pandemie weiter zu unterstützen. Trotzdem hatte er zwei Jahre vor Ablauf der Wahlperiode das Parlament aufgelöst.

Für Wirbel im Wahlkampf sorgten auch die Memoiren seiner Ex-Justizministerin Judy Wilson-Raybould, die Trudeau Machtmissbrauch vorwirft. Trudeau hatte sie 2019 unter Druck gesetzt, ein Strafverfahren gegen die korrupte Baufirma SNC-Lavalin einzustellen, um Jobs zu erhalten, was zu ihrem Rücktritt und zur größten politischen Krise Trudeaus geführt hatte.

An seine Kritiker gerichtet sagte Trudeau am Montag, er habe ihre Botschaft gehört: „Ich habe verstanden, ihr wollt die Pandemie hinter euch lassen und erst mal nicht mehr über Wahlen sprechen.“ Seine Regierung werde jetzt umsetzen, was sie versprochen habe. Dazu gehört unter anderem eine Ausweitung der Impfpflicht, der Kampf gegen den Klimawandel und der Ausbau der Kinderbetreuung.

Wie lange Trudeau jetzt regieren kann, bleibt allerdings offen. In Kanada halten Minderheitsregierungen traditionell nicht länger als zwei bis drei Jahre, manchmal sogar noch weniger. Im Wahlkampf hatte Trudeau davon gesprochen, dass das Land womöglich schon bald wieder zu den Urnen gehen müsse, falls er keine absolute Mehrheit bekommt. Für viele Kanadier wäre das ein Schreckensszenario.

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