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Wahlen in JapanRückfall in instabile Zeiten

Nach der Wahlschlappe können Japans Premier Shigeru Ishiba und seine liberaldemokratische Partei nur mit Teilen der Opposition weiterregieren.

Fuhr das schlechteste Ergebnis seit 2009 ein: Japans Ministerpräsident Shigeru Ishiba einen Tag nach der Wahl Foto: Kim Kyung Hoon

Tokio taz | Zwölf Jahre lang war Japan eine Bastion der politischen Stabilität. Diese Phase haben die Wähler am Sonntag beendet. Die Koalition aus Liberaldemokratischer Partei (LDP) und Kōmeitō verfehlte bei der Neuwahl des Unterhauses die angestrebte eigene Mehrheit. Die Regierungskoalition verlor ein Viertel ihrer Mandate und sicherte sich nur 215 Sitze. Alle Oppositionsgruppen zusammen stellen nun 250 der 465 Abgeordneten.

Die LDP blieb zwar mit einem Abstand von 51 Sitzen die stärkste Partei vor der oppositionellen Konstitutionell-Demokratischen Partei (CDP) unter der neuen Führung von Ex-Premier Yoshihiko Noda. Aber die Liberaldemokraten schafften es erstmals seit 2009 nicht, aus eigener Kraft eine Mehrheit zu erreichen.

Premierminister Shigeru Ishiba, der erst Anfang Oktober ins Amt kam, ist zum Weiterregieren nun auf kleinere Oppositionsparteien angewiesen. Eine große Koalition mit der LDP schloss CDP-Chef Noda aus. Zugleich ist die Opposition zu heterogen für ein eigenes Bündnis.

Nach über einem Jahrzehnt relativer politischer Ruhe in Japan, geprägt durch die lange Regierungszeit des später ermordeten Premiers Shinzō Abe, beginnt damit eine neue Ära mit instabilen Verhältnissen. „Das Wahlergebnis wird die internen Machtkämpfe und Rivalitäten innerhalb der LDP verschärfen und Fortschritte bei ökonomischen Reformen nahezu unmöglich machen“, meinte der deutsche Japan-Beobachter Jesper Koll.

Schwarze Kassen und Inflation

Die Koalition aus LDP und Kōmeitō verlor ihre Mehrheit zuletzt vor 15 Jahren, als die Demokratische Partei Japans (DPJ), ein Vorgänger der heutigen CDP, die Kontrolle über das Parlament übernahm.

Seit fast 70 Jahren regiert die LDP ununterbrochen. Der jetzige Einbruch der Partei spiegelt das Misstrauen des Wahlvolkes in die Partei wider, seitdem ein System von schwarzen Kassen innerhalb der Parlamentsfraktion ans Licht gekommen war. Der Rücktritt von Premier Fumio Kishida und die Strafen für die involvierten Abgeordneten konnten den Ärger über den Finanzskandal nicht dämpfen. Außerdem schürte die Inflation nach zwei Jahrzehnten stabiler Preise große Unzufriedenheit mit der Regierungspartei.

Am Tag nach der Wahl nannte Ishiba als Ursache für die Stimmenverluste den Spendenskandal und die schwache Lohnentwicklung. Die LDP müsste nun bescheiden sein, ihre Fehler reflektieren und innerparteiliche Reformen umsetzen.

Er denke jedoch nicht daran, seine Regierung aus LDP und Kōmeitō zu erweitern. Stattdessen wolle er versuchen, mit kleineren Parteien eine Einigung über einzelne Politikbereiche zu erzielen, sagte Ishiba.

Japan steht vor Minderheitsregierung

In der Konsequenz steht Japan also vor einer Minderheitsregierung, die von kleineren Parteien toleriert wird. Dafür kommen die konservative Japan Innovation Party (Ishin no Kai) aus der Region Osaka mit 38 Sitzen und die zentristische Demokratische Partei für das Volk (DPFP) in Frage. Letztere konnte die Zahl ihrer Sitze auf 28 vervierfachen. Beide Parteien schlossen noch am Wahlabend die Möglichkeit aus, einer von der LDP geführten Koalition beizutreten.

Aber gegen Zugeständnisse, etwa bei ihrer Forderung nach der Senkung der Verbrauchssteuer für Lebensmittel, dürften sie bereit sein, Ishiba zu stützen. Für die Regierungsbildung hat Ishiba nun 30 Tage Zeit. „Ishiba und der LDP stehen harte Zeiten bevor“, kommentierte der Analyst Rintaro Nishimura vom Berater Asia Group. „Je mehr Parteien an der Macht beteiligt sind, desto mehr Kompromisse müssen eingegangen werden.“

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1 Kommentar

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  • Nennen wir es Rückfall zu mehr Demokratie.



    Der Hauptgrund für den Zustand Japans mit einer exorbitanten Staatsverschuldung, einer stagnierenden Wirtschaft und einer alles erdrückenden Gerontokratie, ist die LDP.



    Die Menschen wollen nicht mehr, kleine Zugeständnisse, Stimmenkauf durch Staatsaufträge, wird nicht genügen.