Wahlchaos in Berlin: Mehr Unstimmigkeiten am Superwahltag
Je genauer man hinschaut, desto mehr Ungereimtheiten kommen zutage: Der Superwahltag von Berlin wird zum Na-super-Wahltag.
Der Tagesspiegel kommt in einer Datenauswertung auf weitere Unregelmäßigkeiten: Im Wahlbezirk 124J in Reinickendorf sind etwa 1.382 Personen stimmberechtigt, beim Volksentscheid abgestimmt haben dort aber 2.146. Macht eine Wahlbeteiligung von 150 Prozent. Ähnlich soll es in Tempelhof-Schöneberg sein, wo für Abgeordnetenhauswahl und Volksentscheid 126 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben sollen.
Tempelhof-Schöneberg hat bereits bekannt gegeben, dass drei Wahllokale wegen Unstimmigkeiten, wegen Auszählungs- oder Übertragungsfehlern neu ausgezählt werden sollen. Auch in Pankow wurden seit Donnerstagmorgen Erststimmen neu ausgezählt – auch wenn es dort nur am extrem knappen Wahlergebnis liegt, bei dem Nachzählen üblich ist. Dort unterlag der linke Kultursenator Klaus Lederer mit gerade einmal 30 Stimmen gegen die Grüne Oda Hassepaß. Ein Ergebnis sollen aber offenbar erst beim Bezirkswahlausschuss am 11. Oktober bekannt gegeben werden.
Der Staatsrechtler Christian Waldhoff, der bei der Wahl selbst als Helfer tätig war, nannte die Unregelmäßigkeiten auf dem Verfassungsblog „professionelles Versagen“, weil viele der Probleme absehbar gewesen seien: etwa dass Wählen unter Coronabedingungen länger dauert bei nur zwei Wahlkabinen pro Wahllokal.
Gravierendes Demokratieproblem
Waldhoff sieht den Fehler bei Politik und Verwaltung: Der Marathon hätte verlegt werden, in Wahllokalen hätten zudem genug Stimmzettel vorhanden sein müssen, da man ja exakt wisse, wie viele Wahlberechtigte es gebe. Im Wahllokal, in dem er half, seien um 17 Uhr die Stimmzettel ausgegangen. Der Wahlleiter sei erst eine halbe Stunde später mit Nachschub eingetroffen und von Wartenden mit Applaus begrüßt worden. Eine solche Panne sei der „Gipfel der Desorganisation“ sowie „beispiellos und unerklärbar“, so Waldhoff.
Auch in seinem Wahllokal wurde bis nach 18 Uhr gewählt, als erste Prognosen und später auch Hochrechnungen bereits bekannt waren und so Einfluss auf die Wahlentscheidung gehabt haben könnten. Waldhoff resümiert: „Dass in der Hauptstadt eines der reichsten und entwickeltsten Länder der Erde es nicht möglich erscheint, demokratische Wahlen angemessen zu organisieren, ist nicht nur für die Berlinerinnen und Berliner peinlich, sondern zugleich ein gravierendes Demokratieproblem.“
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