Wahlbeobachter in der Türkei: Garanten korrekter Ergebnisse
60.000 Wahlbeobachter will die Gruppe „Oy ve Ötesi“ am Sonntag mobilisieren. In den großen Städten klappt das gut. Probleme gibt es auf dem Land.
Viele Türken sind seit Langem überzeugt, dass bei den Wahlen geschoben wird, insbesondere durch die jeweilige Regierungspartei. Unter dem früheren Ministerpräsidenten und jetzigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan erreichten die Unregelmäßigkeiten ein immer größeres Ausmaß, sodass viele das Gefühl hatten, es bringt überhaupt nichts mehr, zur Wahl zu gehen.
Nach der brutalen Niederschlagung der Gezi-Proteste im Herbst 2013 beschloss eine Gruppe aus der Protestbewegung, etwas gegen diesen Wahlbetrug zu unternehmen. Im Vorfeld der besonders kritischen Kommunalwahlen im Frühjahr 2014, bei denen sich zeigen würde, ob Erdoğan für seine harte Haltung gegen die Gezi-Bewegung vom Wähler abgestraft würde, gründete sie die NGO „Oy ve Ötesi“, um Leute dennoch zum Wählen zu bewegen.
Das Ziel war, möglichst viele freiwillige Wahlbeobachter zu gewinnen, die den Tag über im Wahlbüro aufpassen, was mit den Stimmen geschieht. Nach der Wahl konnten die Aufpasser von „Oy ve Ötesi“ nachweisen, dass vor allem in Ankara, wo es für Erdoğan sehr knapp war, manipuliert wurde. Auch wenn die offizielle Wahlkommission die Anfechtungen zurückwies, ein Anfang war gemacht.
Knappes Rennen in 39 Provinzen
Für die Wahl im Juni dieses Jahres waren es dann mehrere zehntausend Leute, die sich als Wahlbeobachter registrieren ließen. Dass die kurdische HDP bei den Wahlen auf 13 Prozent kam, war mit Sicherheit auch der intensiven Wahlbeobachtung zu verdanken.
Den Erfolg vom Juni will „Oy ve Ötesi“ bei den Neuwahlen am Sonntag wiederholen. Schon jetzt haben sich rund 60.000 Freiwillige als Wahlbeobachter registrieren lassen. Ziel der Organisation ist es, von den insgesamt 170.000 Wahllokalen in der gesamten Türkei alle zu besetzen, in denen das Rennen knapp werden könnte. Die Wahlkampfmanager der Parteien haben 39 Provinzen ausgemacht, in denen eine Neuverteilung der Sitze möglich scheint.
Doch „Oy ve Ötesi“ hat ein Problem. Die meisten Freiwilligen melden sich in den Metropolen Istanbul, Ankara und Izmir. Gebraucht werden aber Leute in den Provinzen in Zentralanatolien, wo die AKP im Juni erstmals Verluste einstecken musste. Die Gruppe wirbt per Internet und Twitter weiter um Wahlbeobachter und um Anwälte, die helfen, wenn Wahlbeobachter von Parteienvertretern der Zugang zu den Wahllokalen verwehrt wird.
Schon jetzt ist der Erfolg enorm. Während vor der Juni Wahl viele davon überzeugt waren, die AKP werde zu verhindern wissen, dass die kurdische HDP ins Parlament kommt, ist jetzt keine Rede mehr davon. „Oy ve Ötesi“ hat gezeigt, dass das System funktioniert, wenn nur genügend Leute den Verantwortlichen auf die Finger schauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern