Wahl in Niedersachsen: Der lange Weg zur Abtreibung
Ungewollt Schwangere müssen in Niedersachsen oft weit fahren, um abzutreiben. Vor der Landtagswahl interessiert das weder Regierung noch Opposition.
Bremen taz | Im äußersten Westen Niedersachsens gibt es keine Praxis, keine Klinik, die Abtreibungen durchführt. Ungewollt Schwangere, die in dieser Region leben, müssen 100 Kilometer oder mehr für einen Schwangerschaftsabbruch fahren. Weite Wege müssen auch Frauen aus den meisten anderen Landkreisen auf sich nehmen, denn in der Regel wird nur der chirurgische Abbruch in Vollnarkose angeboten: Wer einen Abbruch in örtlicher Betäubung vorzieht oder aus medizinischen Gründen braucht, muss nach Bremen oder in eine andere größere Stadt fahren. Dasselbe gilt für medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche.
Die taz hatte diese Versorgungslücken recherchiert und im März publik gemacht. Damals schilderten Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen des Diakonischen Werks die Folgen, die das für die Frauen hat: Bei Eingriffen in Vollnarkose brauchen sie eine Begleitung, der sie kaum den Grund für die lange Fahrt verschweigen können. Und: Wer wenig verdient, bekommt vom Land zwar die Kosten für den Eingriff bezahlt, nicht aber die für die Fahrt.
Doch weder die niedersächsische Regierung noch die Opposition hat sich bisher für das Thema interessiert. Es gab keine Nachfragen im Landtag oder Anrufe bei den Beraterinnen im Emsland – dort und in der Grafschaft Bentheim müssen die Frauen am weitesten fahren. „Bei uns hat sich niemand gemeldet“, sagt Dorothea Währisch-Purz, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Emsland-Bentheim. „Das ist ein schwieriges Thema, gerade hier bei uns in der Region.“
Damit meint sie: Der Westen Niedersachsens ist katholisch geprägt. Daher gab es dort nie viele Möglichkeiten abzutreiben – und gar keine mehr, seit 2007 das Kreiskrankenhaus mit dem katholischen Marienkrankenhaus in Nordhorn fusioniert wurde. Proteste gab es damals nicht, weder aus der Bevölkerung noch aus der Politik.
Ganz anders hingegen waren die Reaktionen in zwei anderen Fällen. Im Februar hatte Niedersachsens SPD-Gesundheitsministerin Cornelia Rundt die mittlerweile rückgängig gemachte Entscheidung der Klinik im wendländischen Dannenberg kritisiert, keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchzuführen. Dies hatte der Chefarzt der Gynäkologie gewünscht, der Verwaltungschef hatte seine Position unterstützt. Auch die FDP und die Grünen hatten die Klinik zur Rücknahme der Entscheidung aufgefordert, selbst die CDU machte sich Sorgen um die Versorgung der Frauen.
Externe Ärzt*innen im Einsatz
Dabei gibt es – anders als im Emsland – im Umkreis eine Reihe von Kliniken und Arztpraxen. Maximal 40 Kilometer mussten Frauen in den zwei Monaten fahren, in denen in Dannenberg Abtreibungen nicht möglich waren.
Ähnlich hätte es im Landkreis Schaumburg nahe Hannover ausgesehen. Dort hatte sich der Kreistag für den evangelikalen Agaplesion-Konzern als neuen Betreiber des Kreiskrankenhauses in Vehlen entschieden, das bald eröffnet werden soll. Erst im November 2016 wurde aufgrund eines Artikels der Schaumburger Zeitung bekannt, dass Agaplesion aus moralischen Gründen in seinen 25 Kliniken keine Abtreibungen durchführen lässt. Auch in diesem Fall hagelte es Kritik – von allen Parteien.
Agaplesion erklärte sich schließlich dazu bereit, im Klinikneubau Räume für Abtreibungen zur Verfügung zu stellen. Externe Ärzt*innen sollen diese dort vornehmen. Die Verhandlungen mit einer Kooperationspraxis befänden sich „in der Schlussphase“, sagte am Donnerstag eine Unternehmenssprecherin der taz.
Ganz raushalten will sich Agaplesion aber auch künftig nicht: Die externen Ärzt*innen sollen die Frauen in den medizinischen Aufklärungsgesprächen vor dem Eingriff auf „eine begleitende psychosoziale Betreuung“ durch Agaplesion hinweisen. Das Beratungsangebot sei „nur für Frauen, die nach dem Eingriff Gesprächsbedarf haben“, sagt die Kliniksprecherin. Wer diese Beratungen durchführen wird, konnte sie noch nicht sagen.