piwik no script img

Wahl des EU-KommissionspräsidentenBarroso will keine lahme Ente sein

José Manuel Barroso möchte eine zweite Amtszeit als Präsident der EU-Kommission und versucht, es allen recht zu machen. Die Grünen würden die Wahl lieber verschieben.

Barroso bei einer Rede vor den Grünen im EU-Parlament. Bild: reuters

BRÜSSEL taz | José Manuel Barroso will EU-Kommissionspräsident bleiben. Doch bei der Abstimmung am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg wird es knapp. Denn Grüne und Linke werden den 53-jährigen Portugiesen ablehnen. Sozialisten und Liberale lassen sich bis zur letzten Minute die Entscheidung offen.

Nur die Konservativen und die neu gegründeten euroskeptischen "Reformierten Konservativen" haben ein Treuebekenntnis zu dem Mann abgegeben, dem seine Kritiker mangelndes politisches Profil vorwerfen.

Doch nach Barrosos eigener Interpretation ist genau das seine Tugend. Als ihn der frisch gebackene Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer vergangene Woche bei einem Treffen mit der Grünen Fraktion fragte, wofür er eigentlich stehe, rief er: "Meine Partei ist Europa!" Er sei kein Konservativer, sondern glaube an Reformen. "Ich muss in Europa eine breite Koalition zusammenhalten. Gern hätte ich einen grünen Kommissar in meinem Team, aber die Regierungen haben mir keinen geschickt."

Zum ersten Mal zeigte sich der sonst stets glatte, stets lächelnde Kommissionspräsident in dieser Runde kämpferisch. "Sie wollen mich nicht! Stimmen Sie gegen mich - das ist Ihr gutes Recht!"

Als ihn die neue Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms daran erinnerte, dass nach einem verheißungsvollen Anfang in die Klimapolitik "neuer Geiz und neue Zögerlichkeit" eingekehrt seien und er für die Finanzkrise keinerlei politische Verantwortung übernommen habe, antwortete Barroso: "Schauen Sie nicht auf meine Bilanz, schauen Sie auf mein Programm!" Nach dieser Wirtschaftskrise sei die Welt eine andere, und er habe den Schwerpunkt für die nächsten fünf Jahre entsprechend ausgerichtet.

Tatsächlich wird in dem 49-seitigen Papier die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gleich nach einer "energischen und EU-weit koordinierten Wirtschaftspolitik" als zweiter Punkt genannt. An dritter Stelle steht "eine neue Generation zuverlässiger Finanzvorschriften", dicht gefolgt vom Klimaschutz.

Als zusätzliches Werbegeschenk für grüne Abgeordnete wird sogar die Möglichkeit erwähnt, nationale Anbauverbote für genveränderte Pflanzen zu ermöglichen. Insgesamt setzt das Bewerbungsschreiben für die Parlamentarier deutlich andere Schwerpunkte als der Brief, den Barroso im Juni an die Staats- und Regierungschefs schickte. Darin kam das Wort "Arbeitslosigkeit" nicht vor.

Doch die Grünen werden sich durch ein paar Seiten Papier nicht umstimmen lassen. Sie üben grundsätzliche Kritik an dem Verfahren, mit dem Barroso gewählt werden soll. Sowohl der juristische Dienst des Rats als auch die Experten des Parlaments sind überzeugt, dass es nicht rechtens ist, den Kommissionspräsidenten unter dem alten Vertrag zu wählen, sein Team aber erst zu bestimmen, wenn der neue Lissabon-Vertrag in Kraft ist. Deshalb wollen die Grünen die Wahl auf Anfang 2010 vertagen und die alte Kommission bis dahin im Amt lassen.

Doch Barroso hat Angst, dass er, den die meisten Regierungen als Verlegenheitskandidaten betrachten, bis dahin aus dem Rennen sein könnte. Zudem will er bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen und beim Finanzgipfel in Pittsburgh nicht als kommissarischer Präsident und lahme Ente angesehen werden.

Die Regierungschefs wiederum wollen nicht sofort die gesamte Kommission ernennen, weil sie laut noch geltendem Nizza-Vertrag weniger Kommissare als bisher haben muss. Diplomaten prophezeien "ein Blutbad im Rat", wenn ein Land auf einen Vertreter in Brüssel verzichten muss. Deshalb werden sich alle Beteiligten um eine kreative juristische Lösung bemühen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • B
    Björn

    Gute Geschichte aus Brüssel. Mehr davon!