Wahl II: Rote Fahnen unter Regenwolken
Bei den Linken ist die Stimmung im Keller. Nur noch acht Prozent bekommen sie laut jüngster Umfrage. Beim Wahlkampfauftakt am Alex hoffen sie auf den Schlussspurt - und auf Inhalte.
Wenigstens der Alex sieht aus wie immer. Warenhaus, Hotel, Haus des Lehrers, dazwischen rote Fahnen. Tröstliche Kulisse an einem Tag, an dem die Linke ihren offiziellen Wahlkampfstart begeht. Denn zu trösten gibt es viel: Einen Tag vorher war die jüngste Umfrage veröffentlicht worden: Demnach brechen die Linken mit acht Prozent geradezu ein. Klaus Wowereit und sein SPD-Wahlverein dagegen sind mit 36 Prozent enteilt.
Udo Wolf, der Linken-Fraktionsvorsitzende, steht hinter dem Absperrgitter und runzelt die Stirn. Seine Parteibasis muss er dennoch nicht fürchten - und die Umfragen will er nicht fürchten. "Die haben die Stimmen der Unentschlossenen einfach der SPD zugeschlagen", ärgert sich Wolf. Es bleibt nicht der einzige Ärger: "In diesem Wahlkampf dreht sich alles nur noch um Wowereit, Künast und Henkel." Und Harald Wolf, der Linken-Spitzenkandidat? "Bei dieser Konstellaton ist es schwer, in die Medien zu kommen", sagt Bruder Udo.
Das sieht Thomas Barthel ähnlich. "Die Medien haben ihren Wowibär, Inhalte finden nicht statt", murrt der Sprecher des Landesverbands der Berliner Linken. Also gibt Barthel die Parole aus: "Mehr Inhalte." Hinter ihm, auf der Bühne, prangt ein roter Button: "Wir bringen's auf den Punkt."
Nein, die Stimmung ist nicht gut auf dem Alex, da können sie noch so sehr klatschen. Zum Beispiel für Carola Bluhm. Die Sozialsenatorin freut sich über einen Erfolg: "10.000 Leiharbeiter bekommen rückwirkend mehr Geld, weil wir gegen Dumpinglöhne geklagt haben", ruft Bluhm den 200 Genossinnen und Genossen zu. Aber was sind schon Leiharbeiter im Vergleich den Plakaten mit Hedonisten im Roaring-Twenties-Look, mit denen die Grünen um die Ecke in Prenzlauer Berg werben.
Nicht nur die Konkurrenz drückt den Linken aufs Gemüt. Auch die eigene Partei gibt mal wieder ein schlechtes Bild ab. "Geholfen hat uns das bestimmt nicht", sagt Marion Seelig, innenpolitische Sprecherin und Ex-Bürgerrechtlerin, über die Mauerbaudebatten, die es auch in der Linken wieder gegeben hat. Manch einer meint gar, das schlechte Umfrageergebnis hänge mit dem Befragungszeitraum kurz vor dem 13. August zusammen.
Thomas Barthel hat inzwischen seinen Optimismus wiedergefunden. "Wir waren immer gut auf den letzten Metern", macht er sich Mut. "Allerdings gibt es dafür keine Garantie." Um etwas nachzuhelfen, wollen die Linken nun ein paar Euro mehr in die Hand nehmen als geplant.
Inzwischen ist eine Gewitterfront über den Alex herangezogen. "Nicht auch noch das", scherzt der stellvertretende Senatssprecher Günter Kolodziej. Doch ausbüchsen gilt jetzt nicht. Gregor Gysi kommt noch auf die Bühne. Auch er gehört zum Alex, wie Warenhaus, Hotel und rote Fahnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann