piwik no script img

Waffenstillstand für IdlibIm besten Fall ein neues Gaza

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Gut, dass Erdoğan und Putin die Kämpfe in Syrien vorerst gestoppt haben. Doch für die in der Provinz Idlib Eingeschlossenen fehlt eine Perspektive.

Nach russischen Bombardierungen wird aufgeräumt. Idlib am 3. März Foto: Moawia Atrash/imago-images

D er türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat mit dem Einsatz seiner Armee in der nordsyrischen Provinz Idlib viel riskiert und jetzt zumindest einen Teilerfolg erzielt: Sein russischer Kollege Wladimir Putin hat am Donnerstag in Moskau einer Waffenruhe zugestimmt, auf deren Basis nun weiter verhandelt werden kann. Bei allen Vorbehalten und Fragen, die man gegenüber der Moskauer Vereinbarung haben muss: Für die Menschen in der seit Monaten umkämpften Provinz Idlib ist das erst einmal ein Hoffnungsschimmer.

Anders als bei vorangegangenen Waffenstillstandsvereinbarungen ist es dieses Mal auch realistischer, dass die Feuerpause hält. Dafür sprechen verschiedene Gründe. Der wichtigste ist die Geografie. Die derzeitige Waffenstillstandslinie erlaubt dem Assad-Regime, seine Eroberungen im südlichen Teil von Idlib zu behalten, einschließlich der enorm wichtigen Autobahn M5 von Damaskus nach Aleppo.

Entlang der Autobahn M4, die von der Mittelmeerküste kommt und bei Sarakeb auf die M5 trifft, soll eine Pufferzone gebildet werden, die von russischen und türkischen Truppen gemeinsam kontrolliert wird. Nördlich und westlich dieser beiden Autobahnen bleibt dann ein Gebiet einschließlich der Provinzhauptstadt Idlib, das die Türkei kontrolliert und in dem die Flüchtlinge leben können.

Damit wäre die wichtigste Forderung Erdoğans erst einmal erfüllt, ohne dass Russland an seinen Kriegszielen in Syrien Abstriche machen müsste. Die Herrschaft Assads ist nicht mehr gefährdet und die russischen Stützpunkte sind es auch nicht. Trotzdem ist die wichtigste Frage nicht gelöst. Was soll langfristig geschehen mit den rund drei Millionen Menschen, die nun dicht gedrängt im von der Türkei kontrollierten Teil Idlibs unter erbärmlichen Umständen leben?

Sicher, solange nicht geschossen wird, kann humanitäre Hilfe die Menschen besser erreichen, kann ihre Situation graduell verbessert werden. Doch grundsätzlich will weder die Türkei noch ein anderer Staat auf der Erde diesen Menschen eine neue Lebensperspektive bieten, nicht zuletzt, weil niemand genau weiß, wie viele tausende völlig radikalisierte Dschihadisten sich unter ihnen befinden.

Im besten Falle entsteht deshalb in diesem nördlichen Zipfel Syriens entlang der türkischen Grenze so etwas wie ein neues Gaza, in dem Millionen Menschen in einem großen Freiluftgefängnis leben. Solange die internationale Gemeinschaft, darunter an erster Stelle auch die EU, keinen Vorschlag dazu macht, was mit diesem Menschen geschehen soll, wird das so bleiben.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Das wird ein wirtschaftlich integrierter Teil der euen Wirtschaftszone China, Russland, Türkei, die auch das Gebiet zwischen diesen Staaten umfasst und natürlich selbst Assads Syrien, den Libanon, Ägypten, Iran, Israel und Jordanien nicht auslassen wird. Die Türkei wird sich nicht nehmen lassen, selbst nach dieser Krise wirtschaftliche Beziehungen mit Syrien aufrechtzuerhalten oder wieder aufzunehmen. Die Turkstaaten und die christlichen Länder Georgien und Armenien, aber auch Aserbaidschan brauchen diese Perspektive. Russland und die Türkei haben sehr wichtige gemeinsame Ziele wie den zivilen Flugzeugbau, wovon auch China profitiert. In diesem Zusammenhang lässt sich auch der Zwist um Öl- und Gasvorkommen lösen. Der russische Hafen in Syrien wird ebenfalls Diskussionspunkt werden. Die Türkei wird in der Teilprovinz Idlib für Sicherheit sorgen müssen.

    • @Nik...:

      Israel wird sich nicht freiwillig kontrollieren lassen, niemals.

  • Die beste Perspektive ist, dass die Djihadisten entweder die Waffen strecken oder auswandern, dann können die Zivilisten wieder in Frieden in Syrien leben.

    • @J_CGN:

      Noch besser wäre, wenn *alle* die Waffen strecken.