Waffenscheine in Niedersachsen: Sind Sie Extremist? Bitte ankreuzen
Niedersachsen kann das neue Waffengesetz nicht wie gefordert umzusetzen. Der Verfassungsschutz ist mit der Datenabfrage für Jäger überfordert.
Stattdessen verlangt man von Menschen, die einen Jagdschein beantragen, eine Selbstauskunft, in der steht: „Es ist mir nicht bekannt, dass bei der zuständigen Verfassungsschutzbehörde Tatsachen vorliegen, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit gemäß §5 Abs. 2 und 3 WaffG begründen.“
Dies, bemerkt Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, sei auf zwei Ebenen drollig: Erstens sei ja wohl kaum anzunehmen, dass sich Verfassungsfeinde hier mal eben freiwillig offenbarten. Und zweitens sollten Extremisten im Idealfall ja auch keine allzu präzise Vorstellung davon haben, wie viel der Verfassungsschutz über sie weiß oder nicht weiß.
Entstanden ist diese Regelung nämlich für genau jene Fälle, die strafrechtlich noch nicht so einschlägig in Erscheinung getreten sind, dass man ihnen deshalb den Waffenbesitz verwehren kann – sie aber aufgrund ihrer extremistischen Haltung trotzdem im Visier der Behörden sind.
Behelfslösung, weil der Datenabgleich nicht klappt
Eine solche automatische Abfrage beim Verfassungsschutz ist in den vergangenen Jahren immer mal wieder diskutiert worden. Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte sich im Bundesrat schon einmal dafür stark gemacht. Eine politische Mehrheit auf Bundesebene fand sich dafür aber erst Ende 2019, unter dem Eindruck des Attentats in Halle und des Mordes an Walter Lübcke.
Im Februar traten diese und einige andere Änderungen des Waffengesetzes nun in Kraft. Doch mit der Umsetzung hapert es offenbar. Zum neuen Jagdjahr, das immer am 1. April beginnt, beantragten nach Auskunft des für die Jagdaufsicht zuständigen Landwirtschaftsministeriums circa 20.000 Jäger:innen in Niedersachsen einen neuen Jagdschein. Die technischen Voraussetzungen für einen Datenabgleich beim Verfassungsschutz lägen aber noch nicht vor, erklärte Ministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) dem erbosten Jäger im Juni.
Deshalb versucht man nun offenbar, mit der Behelfslösung der Selbstauskunft über die Runden zu kommen. Immerhin sind die Jäger:innen in Sachen Extremismus bisher auch nicht besonders aufgefallen: Die meisten Amokläufer oder Attentäter haben ihre Waffen entweder legal als Sportschützen erworben oder sich gleich illegal beschafft.
Für bloße Waffennärr:innen sind die Hürden beim Jagdrecht ungleich höher als im Vereinssport, die Vorbereitungskurse kosten viel Zeit und Geld. Allerdings erscheint es auch nicht so unwahrscheinlich, dass sich beispielsweise unter Reichsbürger:innen oder völkischen Siedler:innen Jagdliebhaber:innen finden.
Auch rechtlich ist die Selbstauskunft problematisch
Der Grüne Limburg findet das Vorgehen der Landesregierung grob fahrlässig und unverantwortlich. „Wenn dadurch auch nur eine Waffe in die Hände von Verfassungsfeinden gelangt, ist die Ministerin mitverantwortlich. Diese Praxis muss sofort geändert werden“, sagt er. Die Fraktion plant dazu eine Anfrage nach der Sommerpause.
Auch rechtlich erscheint die Selbsterklärung, so wie sie formuliert ist, einigermaßen problematisch. Ohne weitere Erläuterungen wird den Betreffenden nämlich auch noch ein Rechtsmittelverzicht abverlangt. Für den Fall, dass eine nachträgliche Überprüfung beim Verfassungsschutz doch irgendwelche Erkenntnisse zu Tage fördert, will man so die Erlaubnis ganz fix wieder einkassieren können.
Angesichts der Tatsache, dass der niedersächsische Verfassungsschutz auch schon wegen widerrechtlich gespeicherter Daten in die Schlagzeilen geriet, erscheint das gewagt. Der Beschwerde führende Jäger wittert darin jedenfalls einen klaren Rechtsbruch und will die Selbstauskunft nicht unterschreiben.
Aus dem Landwirtschaftsministerium ist bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme zu bekommen. Im Bilde ist man dort allerdings. Bevor sich der Jäger an die Abgeordneten wandte, beschwerte er sich mehrfach bei der Ministerin.
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