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Waffenruhe zwischen Israel und Hisbollah„Endlich nachts schlafen“

Im Libanon wird die Waffenruhe positiv aufgenommen. Viele der Vertriebenen können womöglich noch monatelang nicht in ihre Häuser zurückkehren.

Die Straßen sind wieder sicher: Eine Frau schaut am 27. November aus einem Autofenster in Tyros im Süden Libanons Foto: Adnan Abidi/reuters

Im Libanon bedeutet die Waffenruhe ein Durchatmen. „Eine Kollegin sagte mir, endlich könne sie nachts schlafen“, erzählt Tommaso Portogalli, Büroleiter der Welthungerhilfe im Libanon. Es sei eine gute Nachricht nach zwei Monaten „heftiger Bombardements“. Die Nacht zuvor sei noch mal eine der schlimmsten gewesen. „Es gab viele Luftangriffe auf Viertel, die zuvor nie getroffen wurden.“ Auch nahe der Amerikanischen Universität Beirut: Chemie-Professor Bilal Kaafarani schreibt auf X, er habe im Büro übernachtet. „Um 23 Uhr haben drei Raketen unser Gebäude im Herzen Beiruts getroffen: viel Zerstörung.“ Lokale Medien berichten zudem von zwanzig zeitgleichen Bombardierungen auf Beirut.

„Der Schwefelgeruch liegt noch in der Luft, aber das Dröhnen ist weg“, schreibt Mona Fawaz, Professorin für Stadtplanung auf X. „Erleichterung mischt sich mit einer schweren Last, wir versuchen zu verstehen, was gerade passiert ist, wir denken an das, was kommt, und wir leiden um Gaza.“ Es brauche nun Perspektiven für eine gerechte Zukunft. „Vorübergehende Waffenstillstände reichen nicht aus.“ Laut dem Abkommen sollen israelische Truppen aus dem Südlibanon abziehen, ebenso wie die libanesische Miliz der Hisbollah. Stattdessen sollen dort die libanesische Armee und weiterhin UN-Soldaten der Unifil-Mission stationiert sein.

Die UN-Friedensmission sagte am Mittwoch, sie überwache die Umsetzung der entsprechenden UN-Resolution 1701 und informiere über Verstöße unparteiisch. Die Mission hatte in den vergangenen Monaten israelische Angriffe auf die Friedenstruppen und auf das unbeteiligte libanesische Militär gemeldet. Sie haben Israel dazu gedrängt, das Völkerrecht einzuhalten. Auf die Frage nach dem Risiko einer Konfrontation zwischen der Armee und der Hisbollah wollte Libanons Verteidigungsminister, Maurice Slim, am Mittwoch nicht antworten.

Er sagte nur: „Wir arbeiten jeden Tag daran, unsere Armee zu stärken.“ Laut der Vereinbarung dürfen nur libanesische Soldaten und die Staatssicherheit Waffen mit sich führen. Das würde bedeuten, dass auch andere politische Kräfte, darunter christliche, entwaffnet werden müssten. Die innenpolitischen Gegner der Hisbollah behaupten, sie würden deren Dominanz über die Politik nicht länger akzeptieren. Das könnte zu innenpolitische Spannungen führen.

Rund 1,2 Millionen Menschen wurden durch den Krieg vertrieben, darunter rund 80.000 innerhalb des Landes. Portogalli von der Welthungerhilfe sagt, humanitäre Hilfe sei weiter nötig. Hel­fe­r*in­nen analysierten nun, was dringend benötigt werde. Die Menschen waren bereits vor dem Krieg von einer Wirtschaftskrise betroffen. „Für viele ändert sich die Situation nicht sofort, sie werden für lange Zeit Unterstützung brauchen.“

Militante Musik und Hisbollah-Flaggen

Nach der Ankündigung der Waffenruhe hatte das libanesische Militär zu Geduld aufgerufen: Be­woh­ne­r*in­nen sollten mit der Rückkehr warten, bis die israelische Armee abgezogen sei. Sol­da­t*in­nen verteilten bei Verkehrsstaus Flyer, die vor explodierender Munition warnten. Trotzdem fuhren viele Menschen am Mittwoch zurück in ihr Zuhause. „Inmitten lauter militanter Musik, Hisbollah-Flaggen, Schüssen, Ruinen, verkohlten Autos, mit Trümmern und klaffenden Löchern gefüllten Straßen herrscht ein chaotisches Bild“, berichtet die Zeitung L’Orient-Le Jour aus Südbeirut. Einige Gebäude seien vollständig zerstört und die meisten teilweise beschädigt. Einer der Reporter beschreibt den Anblick als „Apokalypse“. Ein Bewohner sagte: „Mein Haus ist zerstört, aber wir werden alles wieder aufbauen. Die Freude ist da, trotz Tränen.“

Im Südlibanon hat lokalen Medien zufolge der Zivilschutz begonnen, die Toten zu bergen, die noch unter Trümmern liegen. Aus Angst vor Angriffen sei das bisher noch nicht machbar gewesen. Viele der Vertriebenen können möglicherweise monatelang nicht zurückkehren, da Israels Armee ganze Dörfer in der Grenzregion zerstört hat. Wer noch zurückkann, kommt in ein Zuhause, in dem sich israelische Sol­da­ten teilweise gefilmt haben, wie sie Küchenschränke durchwühlen oder Unterwäsche tragen. Ein Video eines Rückkehrers zeigt ein verwüstetes Schlafzimmer, mit verdreckter Matratze und Ziegen im Zimmer. „Land ist nicht nur Eigentum: Es umhüllt Erinnerung, Gemeinschaft und Identität“, beschreibt Al-Jazeera-Journalist Mat Nashed.

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