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Waffen in AfghanistanKriegsgerät außer Kontrolle

Ein US-Generalinspekteur entdeckt die schlampige Registrierung hunderttausender Waffen, die von den USA geliefert wurden. Viele sind längst weg.

Wenn nur alle so souverän mit Kriegsspielzeug umgehen könnten wie Ursula von der Leyen. Bild: reuters

BERLIN taz | Den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen in Afghanistan könnten Hunderttausende von den USA gelieferte Waffen in die Hände fallen, weil die Kontrolle über sie verloren wurde. Davor warnt ein Bericht des US-Sondergeneralinspekteurs für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar), John Sopko, der am Montag in Washington veröffentlicht wurde.

Demnach haben die USA seit 2004 an die afghanische Armee und Polizei 747.000 Maschinenpistolen und -gewehre, Granatwerfer, Pistolen und dazugehörige Teile im Wert von 626 Millionen US-Dollar geliefert. Doch von den 474.823 sogenannten Kleinwaffen, deren Seriennummern registriert wurden, seien die Angaben zu 43 Prozent unvollständig oder doppelt. Bei 50.304 Waffen fehlten alle Angaben. Laut Bericht führen die USA zwei verschiedene Listen.

Diese seien jedoch nicht kompatibel, ihre Angaben zum Teil widersprüchlich. Über manche Waffen sei schon die Kontrolle verloren worden, bevor sie überhaupt ausgeliefert wurden. Auf afghanischer Seite sind laut Sigar die Angaben noch viel lückenhafter. Manche Waffen seien nie als erhalten erfasst worden. Insbesondere das Erfassungssystem der Polizei sei mangelhaft.

Der Bericht verweist auch darauf, dass mehr Waffen geliefert wurden, als Afghanistan benötige. So hätten die USA bis 2010 Sturmgewehre des Typs AK-47 („Kalaschnikow“) geliefert. Diese in Afghanistan weit verbreitete Waffe ursprünglich sowjetischer Bauart entspricht jedoch nicht dem Nato-Standard, was gemeinsame Operationen von afghanischen und Nato-Kräften erschwert. Deshalb war 2010 beschlossen worden, afghanischen Truppen künftig Nato-kompatible Waffen zu liefern.

So habe sich auf afghanischer Seite ein Überschuss an 83.184 Gewehren allein des Typs AK-47 angesammelt. Es gebe jedoch keine Vereinbarung, diese Waffen zurückzugeben oder zu zerstören, bemängelt Sigar. Laut dem Bericht dürfte die Zahl überschüssiger und unkontrollierter Waffen weiter steigen, sollte die Sollstärke der afghanischen Kräfte wie geplant von ihrem Höchststand von 352.000 bis 2017 auf 228.500 reduziert werden.

„Wir sind sehr besorgt“

„Von den USA und der Koalition gelieferte Waffen sind bedroht von Diebstahl, Verlust und Missbrauch“, heißt es im Bericht. „Wir sind sehr besorgt.“ Der 2008 geschaffene Sondergeneralinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar) sollte die Verschwendung der bisher mehr als 100 Milliarden Dollar US-Militär und -Aufbauhilfe in Afghanistan eindämmen.

Zu Monatsbeginn hatte Sigar bereits bemängelt, dass Afghanistan zwei weitere C-130-Herkules-Militärtransportflugzeuge für je 40,5 Millionen Dollar erhielt, obwohl es zwei bereits zuvor gelieferte gar nicht unterhalten könne. Doch im jetzt geschilderten Fall der Kleinwaffen geht es nicht nur um die Verschwendung von US-Steuergeldern, sondern um Sicherheitsrisiken, die mit den schlecht kontrollierten Waffenlieferungen verbunden sind.

In letzter Zeit hat die Zahl der Taliban-Angriffe wieder zugenommen. Die Aufständischen versuchen die Kontrolle über Regionen zu gewinnen, aus denen sich das internationale Militär bereits zurückgezogen hat.

Am Dienstag fiel mit dem Cousin des scheidenden Präsidenten Hamid Karsai ein weiterer prominenter Afghane einem Attentat zum Opfer. Haschmat Karsai war Politiker, Chef einer Sicherheitsfirma und ein Vertrauter des Präsidenten. Der Attentäter kam in der Provinz Kandahar zum Fest des Fastenbrechens Eid al-Fitr in Karsais Haus. Beim Handschlag mit Karsai habe er einen Sprengsatz in seinem Turban gezündet.

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