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Wachstumsstörungen durch Platin

Die Platinwerte an den Autobahnen steigen seit Jahren kontinuierlich an  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann und Umweltministerin Angela Merkel verkünden unisono: Wer sauberer fährt, spart ab sofort Geld! Die frohe Botschaft gilt nicht etwa den BenutzerInnen von Rad und Bahn. Vielmehr soll der finanzielle Anreiz aus Bonn dazu dienen, den geregelten Dreiwegekatalysator für Autos mit Benzinmotoren flächendeckend durchzusetzen – und nebenbei dem Kfz-Gewerbe zusätzliche Aufträge durch Nachrüstung mit G-Kat oder Neuwagenkauf zu verschaffen. Die neue, „emissionsbezogene Kfz-Steuer“ bittet HalterInnen von Fahrzeugen ohne Abgasreinigung seit dem 1. Juli kräftig zur Kasse: Zu zahlen ist ein Zuschlag von 20 Mark je angefangene 100 Kubikzentimeter Hubraum.

Tatsächlich sind sich ExpertInnen einig, daß der Dreiwegekatalysator den Ausstoß von Stickstoffoxiden, Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen um rund 90 Prozent mindern kann – vorausgesetzt, er funktioniert einwandfrei. Selbst dann ist es aber zu früh, Entwarnung für Mensch und Umwelt zu geben. Denn das technische „Heilmittel gegen die Ozonproblematik“, warnt der Botaniker Rüdiger Wittig von der Universität in Frankfurt am Main, „könnte unerwünschte Nebenwirkungen“ haben, eine „neue Altlastenproblematik“ bahne sich womöglich an. Grund dafür ist die Beschichtung der Katalysatoren: vor allem Platin, aber auch Palladium und Rhodium. Die Metalle werden beim Fahren laufend freigesetzt, für kontinuierlichen Abrieb sorgen Erschütterungen sowie die enorme Erhitzung (bis zu 800 Grad) des Abgasreinigers.

Das wissen auch die Autohersteller. Auf ihren Prüfständen testen sie allerdins nur fabrikneue Katalysatoren, besorgniserregende Werte konnten sie bislang nicht feststellen. Dagegen halten Hans Urban und Fathi Zereini vom Frankfurter Uni-Institut für Mineralogie Motorstandversuche unter Laborbedingungen für wenig aussagekräftig. Als erste Wissenschaftler in Europa versuchten sie deshalb, dem Ausmaß der Emissionen dort auf die Spur zu kommen, wo sie täglich entstehen: draußen im Straßenverkehr.

Entlang mehreren Autobahnen entnahmen sie Bodenproben, zum erstenmal im Herbst 1990. Ihr Befund hat sie selbst überrascht: Höchst „anomale Platin-Konzentrationen“ wurden gemessen, in den Bodenproben neben der A66 zwischen Frankfurt und Wiesbaden lagen die Platinwerte im Durchschnitt zehnmal so hoch wie der für „normal belastete“ Böden angenommene „geogene Untergrundwert“. Der liegt bei einem Mikrogramm Platin je Kilogramm Boden und wurde zum Beispiel im Frankfurter Stadtwald festgestellt. Noch alarmierender als an der A66 waren die Meßbefunde am Rande der Autobahn 67 von Frankfurt nach Mannheim: Dort ermittelten die Forscher durchschnittlich das 70fache des geogenen Wertes, wobei die Spitzenwerte gar mehr als doppelt so hoch waren.

Warum sie entlang der A67 erheblich mehr Platin fanden als an der A66, erklären Urban und Zereini so: Die erste Messung an der A66 habe man vor fast sieben Jahren vorgenommen, als gerade mal jedes zehnte Auto in Deutschland mit Abgaskatalysator ausgerüstet war; heute sind es über 50 Prozent. Außerdem gebe es auf der A66 – anders als auf der A67 – ein Tempolimit. „Bei höherer Geschwindigkeit“, sagt Hans Urban, „steigt der Platinausstoß überproportional an.“ Diesen Zusammenhang hätten auch US-amerikanische Studien bestätigt.

Klar ist für die Frankfurter Forscher, daß die gemessenen Platinmengen von Autokatalysatoren stammen müssen. Klar ist für sie außerdem, daß die Platinkonzentrationen weiter anwachsen werden, da das seltene Edelmetall sich in der Natur nicht abbaue. Hinzu kommen weitere Emissionsquellen: Platin wird auch in der Chemie- und Textilindustrie verwendet, Krankenhäuser setzen Platinverbindungen in der Krebstherapie ein.

Daß mit schädlichen Auswirkungen zu rechnen ist, dafür sprechen Experimente eines weiteren Mitglieds der Frankfurter Arbeitsgruppe. Der Botaniker Hans-Joachim Ballach wies nach, daß Pappeln mit ihren Wurzeln Platin aufnehmen und dadurch ihr Wasser- und Mineralhaushalt gestört wird. Weil der fremde Stoff die Wasseraufnahme behindere, sorge er bei den Pflanzen für „Wasserstreß“; Symptome seien verminderter Blattwuchs und verstärktes Wachstum der Wurzeln.

Auch Menschen müssen sich vor dem Edelmetall in acht nehmen: Die vom Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft berufene „Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe“ stuft Platinverbindungen als „sensibilisierende Arbeitsstoffe“ ein, die allergische Krankheitsbilder an Haut und Atemwegen hervorrufen können, so zum Beispiel Kontaktekzeme oder Asthma.

Bei den Fragen, die sich nun aufdrängen, müssen die Frankfurter Forscher mangels Untersuchungen bislang passen: Schädigen die Platinemissionen aus den Abgaskatalysatoren tatsächlich Mensch und Natur? Wenn ja, in welchem Ausmaß? Und welche Wechselwirkungen mit den nach wie vor in der Umwelt vorhandenen Autogiften wie Blei, Kohlenwasserstoffen und Ozon gibt es? „Wir sehen es als unsere Pflicht an“, bekräftigt denn auch Professor Wittig im Namen des Teams, „auf die Notwendigkeit solcher Wirkungsforschungen hinzuweisen.“

Trotzdem sieht es nicht so aus, als könnten sie die Antworten bald nachliefern. Denn die öffentlichen Geldquellen sind versiegt. Das Programm der hessischen Landesregierung zur „ökologischen Zukunftsforschung“, das die Platinstudien zwei Jahre lang mitfinanziert hatte, existiert nicht mehr. Die auffälligen Ergebnisse sind der rot-grünen Koalition wohl bekannt, konnten sie aber nicht motivieren, den Wissenschaftlern Fördermittel zu bewilligen. Deshalb putzen die Professoren nun Klinken bei Autoindustrie und Katalysatorherstellern – bisher ohne Erfolg, die erhofften Sponsormittel sind ausgeblieben.

Womöglich hat die mangelnde Resonanz damit zu tun, daß bald politisch Bequemeres auf dem Tisch liegen könnte: eine Studie zum Zusammenhang von Platinemissionen und Katalysatortechnik, die das Bundesforschungsministerium bereits vor Jahren in Auftrag gegeben hatte. Die Ergebnisse, verlautet aus Bonn, würden bald veröffentlicht – spätestens „kurz nach der Sommerpause“.

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