Wachsender Antiziganismus: Unter Pauschalverdacht
Roma sind in Berlin umfassender Diskriminierung ausgesetzt, nicht zuletzt durch Behörden. Der Verein Amaro Foro dokumentiert die Zunahme antiziganistisch motivierter Vorfälle.
„Die sollen zurück nach Rumänien, die haben hier keine Ansprüche“, lautete der Satz, den die Mitarbeiterin eines Jobcenters einer leistungsberechtigten rumänischen Familie entgegenschmetterte. Kein Einzelfall, wie der Verein Amaro Foro dokumentiert.
Die interkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma erfasst seit 2014 antiziganistische und diskriminierende Vorfälle gegenüber Roma und Menschen, die für Roma gehalten werden. 146 solcher Vorfälle wurden 2016 gemeldet, im Vorjahr lag diese Zahl noch bei 117. „Die Dunkelziffer ist unserer Meinung nach aber um einiges höher“, so Projektkoordinatorin Diana Botescu.
568 Vorfälle
Zusätzlich wurden in diesem Jahr diskriminierende Medienberichte, Äußerungen in Kommentarspalten und Social-Media-Beiträgen dokumentiert. Insgesamt kommt der Verein so auf eine Zahl von 568 Vorfällen.
„Roma oder Menschen, die dafür gehalten werden, erleben in Berlin eine fast umfassende und vor allem zunehmende Diskriminierung. Dies betrifft besonders den Kontakt zu Leistungsbehörden wie Jobcentern oder Familienkasse“, so Botescu. Der Umgang mit Antragssteller*innen sei von einem pauschalen Betrugsverdacht geprägt. Das schlage sich in Antragsablehnungen, langen Wartezeiten, antiziganistischen Beleidigungen und anderen Schikanen nieder. Betroffene erlebten neben diskriminierendem Verhalten durch einzelne Sachbearbeiter*innen auch institutionelle Diskriminierung. Die Bearbeitungszeit von Anträgen auf Kindergeld rumänischer und bulgarischer Staatsbürger*innen läge derzeit bei etwa anderthalb Jahren.
Konten werden verweigert
In zahlreichen Episoden dokumentiert der Bericht Diskriminierung in allen gesellschaftlichen Bereichen: auf der Straße, bei der Kontoeröffnung, die häufig verweigert wird, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, bei medizinischer Versorgung und in Schulen.
Besonders dramatisch sei die Situation für Geflüchtete. Der Bericht von 2016 erfasst erstmals die Lebensrealitäten von Roma-Asylbewerber*innen aus der Westbalkan-Region. Die Asylrechtsverschärfungen der Jahre 2014 und 2015 und die Erklärung von vielen Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern führten in der Praxis zu Asylschnellverfahren, in denen auf Einzelfallprüfung verzichtet werde. Rassistische Diskriminierung der Roma in ihren sogenannten Heimatländern würde ignoriert. Menschen vom Westbalkan würden auch in Berlin in separaten Lagern untergebracht und möglichst schnell abgeschoben. Auch von der Abschiebung einer Minderjährigen, die aus der Grundschule abgeholt wurde, berichtet Mitarbeiterin Violeta Balog.
Teil der Dokumentation ist außerdem ein Berliner Medienmonitoring. Von 130 ausgewerteten Artikeln wurden 63 als diskriminierend qualifiziert, darunter auch Texte, die in der taz erschienen sind. Einer davon reproduziere das Bild des Nomadentums – angesichts der Tatsache, dass 95 Prozent aller Roma sesshaft seien, ein überholtes und diskriminierendes Klischee, erklärt Andrea Wierich, zuständig für das Medienmonitoring. Ein anderer taz-Artikel übertrage unkritisch Eigenschaften einzelner auf alle Roma. Dies sei ebenfalls typisch für stereotype Berichterstattung, die die Diskriminierung verstärke.
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