WM-Kolumne Gilet jaune: Überall in Nizza rollt der Fußball
Fleischlos essen? Nicht bei der Fifa in Nizza. Und wie steht es um den Straßenfußball in Südfrankreich? Weiter geht es nach Grenoble.
N ein, sagt die Dame am Verkaufsstand im Presseraum, vegetarische Sandwiches hätten sie nicht. Nur Salami, Schinken oder Hühnchen. Das ist die echte Sportjournalistenkost.
In Nizza ist die Fifa im Pressebereich auf die Idee gekommen, Essen nicht auszugeben, sondern zu verkaufen, für sportliche 4,50 Euro für ein Sandwich. Sicher hat der Weltverband noch nicht genug Geld. Fleischlose Stullen gibt es nur, wenn man Glück hat, aber so was will ja auch keiner.
In Montpellier, wo alles heimeliger ist, gab es sogar Geschenke in der Medienzone („Damit Sie einen guten Eindruck von Montpellier haben“), einen Fifa-Kalender im Avengers-Look, der sehr praktisch und sehr lustig ist. Ex-Spielerinnen sind dort gezeichnet als „Superheldinnen, die den Frauenfußball bewerben“: Kristine Lilly heißt Emulator und ist eine Art staksiger Captain America auf High Heels, Sun Wen kriecht als Sun Shadow in Boyband-Position über den Boden, und Aya Miyama als The Rift sieht aus wie ein Psycho-Pokémon mit Kreiseln um den Kopf.
Frauenfußball made by Fifa trifft auf Marvels Starke-Frauen-Kapitalismus, das ist eine ehrliche Analogie. Aber wahrscheinlich haben sie das nicht bemerkt.
Deodorierte Balljungs
Nach zwei Wochen beinahe ununterbrochen in Nizza habe ich mich eingelebt: Beim ersten Spiel im labyrinthischen Stadion landeten ein Kollege und ich noch versehentlich in den Katakomben der Balljungen, wo es sehr intensiv nach Deo roch, heute könnte uns das nicht mehr passieren. Und obwohl ich lange behauptet habe, Nizza sei keine Fußballstadt, muss ich da nach zwei Wochen einlenken.
Ich glaube nämlich, das ist sie schon. Bloß im Verborgenen. Je mehr ich darauf achte, desto häufiger begegnen mir Kinder mit Fußball. Wo sie spielen, ist ihr Geheimnis; die engen Gassen und überfüllten Promenaden von Nizza sind so straßenfußballfeindlich wie nur irgendwas, Parks und Grünflächen gibt es kaum. Aber sie finden ihre Räume, und erstaunlicher noch, ich sehe ziemlich viele Mädchen.
Eine vielleicht Zwölfjährige jongliert an der Promenade des Anglais; zwei Mädels kicken ohne Jungs auf dem Bahnhofsvorplatz. Eine andere spielt inmitten von Wasserfontänen in der Fußgängerzone, und im Supermarkt steht hinter mir an der Kasse plötzlich eine Teenagerin im kompletten Vereinsoutfit. Irgendwo hier muss es Fußballkultur geben. Ich frage zwei Jungs nach den Fußballplätzen von Nizza. „In den Vororten“, antworten sie. „Du hast dich wahrscheinlich im Zentrum aufgehalten, da findest du nichts. Die Fußballplätze sind versteckt, die sind für die Einheimischen, nicht für Touristen.“
Nachdem auch das geklärt ist, könnte ich jetzt in Nizza Fußball spielen gehen. Bloß muss ich leider nach Grenoble.
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