piwik no script img

WIE EIN GERICHT REIZGAS-EINSATZ IM WAHLKAMPF BEURTEILTAm AfD-Stand überreagiert

Das Konfetti war zu viel: Zu einer Geldstrafe von 7.700 Euro verurteilte das Amtsgericht Schwerin am Dienstag Ulf-Theodor Claassen. Vor Gericht hatte das Mitglied der Alternative für Deutschland eingeräumt, im Kommunalwahlkampf überreagiert zu haben: Als am 21. Mai 2014 zwei junge Männer an einem AfD-Infostand Konfetti warfen, ging der heute 53-Jährige sie mit Reizgas an. Die Verletzten mussten im Krankenhaus ambulant behandelt werden.

Bis zu jenem Tag lief die berufliche Karriere des hochrangigen Polizisten bestens: Vor neun Jahren hatte Claassen in führender Position an den Sicherheitsmaßnahmen für den G8-Gipfel in Heiligendamm mitgewirkt. Bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Interventionsstellen referierte der Kriminaldirektor beispielsweise über häusliche Gewalt und Stalking und was sich dagegen tun lässt. Vor Gericht nun sprach er nicht. Sein Anwalt erklärte, dass sein Mandat damals Panik empfunden habe wegen eines möglichen „tätlichen Angriffs“.

Bloß: Danach warf Claassen die Reizgasdose weg, kaufte in einer Zoohandlung ein weniger agresssives Tierabwehrspray, versprühte davon einen Teil in einen Mülleimer und übergab diese Dose dann der Polizei. In der Einkaufspassage erlitten mehrere Menschen Hustenanfälle. Die AfD verteidigte ihn damals: Die „Jugendlichen“ hätten die Wahlkämpfer „beschimpft und beleidigt und ihnen dabei massiv Konfetti direkt ins Gesicht geworfen“.

Andreas Speit

arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland

Vor Gericht ließ Claassen nun wissen, das Vorgefallene tue ihm außerordentlich leid. Er habe das Gespräch mit den Opfern gesucht, Schmerzensgeld angeboten. Wegen seiner Panik sei er in Behandlung. Das Gericht berücksichtige dies im Strafmaß. Polizeiintern läuft ein Disziplinarverfahren. Nach dem Vorfall war Claassen an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Güstrow versetzt worden – er unterrichtet angehende Polizisten im Fach Einsatzlehre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen