■ Kommentar: Vosch 2000
Die Genossen hatten keine Wahl. Zehn Monate, bevor Hamburgs BürgerInnen wieder einmal an die Urnen schreiten, gingen die Sozialdemokraten – nein, nicht nach Canossa, schlimmer noch – zum Bürgermeister.
Zu Henning Voscherau, so die ebenso realistische wie wenig überraschende Erkenntnis, gibt es für Hamburgs Sozialdemokraten keine Alternative. Er hat keine zugelassen, die Partei hat sich keine geschaffen, die Lage ist desolat.
Mit Voscherau an der Spitze über die Schwelle zum nächsten Jahrtausend zu schleichen, ist mehr Verzweiflung denn Verheißung; ohne ihn dürfte selbiges zwar ebenfalls kommen, aber die SPD wohl nicht erneut als stärkste Fraktion ins Rathaus und ins Senatsgehege. Und so werden denn Zweifel und Ärger in trauter Zwietracht dem Prinzip Hoffnung geopfert.
Die Zweifel an den Führungsqualitäten des Bürgermeisters, der im Sommer beim Senatsknatsch um die Bezirksverwaltungsreform überzeugend als Entscheidungsschwächling dilettierte. Und der Ärger über den einstmals gerühmten Parteistrategen und Taktiker der Macht, der vor gerade drei Wochen auf der Suche nach dumpf-populistischen Wahlkampfthemen beinahe selbst zum Randständigen befördert wurde – von eben demselben Parteivorstand, der ihn nun rückgratlos, Verzeihung: rückhaltlos zum Vosch 2000 ernennt.
Die Genossen hatten keine andere Wahl; und das sagt mehr über das Innenleben der Hamburger SPD als über die Fähigkeiten ihres Spitzenkandidaten. Was folgen wird, sind zunächst die Wahlen, dann die Qualen. Und dann das nächste Jahrtausend. So oder so.
Sven-Michael Veit
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