piwik no script img

Vorwürfe gegen Präsident KaczynskiSpitzelskandal erschüttert Polen

Präsident Kaczynski soll 2005 den Geheimdienst um einen Lauschangriff gegen den damaligen Regierungschef Marcinkiewicz gebeten haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Mal wieder Ärger am Hals: Polens Präsident Lech Kaczynski Bild: dpa

Polens Staatspräsident Lech Kaczynski könnte schon bald vor Gericht stehen. Oder aber Ex-Regierungschef Kazimierz Marcinkiewicz. Im einen Falle hieße die Anklage "Amtmissbrauch", im anderen "Verleumdung". Am Montag leitete die Polens Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein, das zunächst nur "in der Sache" klären soll, ob Staatspräsident Lech Kaczynski Ende 2005 Polens Inlands-Geheimdienstchef um einen Lauschangriff gegen den damals amtierenden Premier gebeten hat.

Erhoben werden die Vorwürfe von Ex-Regierungschef Kazimierz Marcinkiewicz. In einem Interview mit der Tageszeitung Dziennik begründete der Politiker diese gegen den Präsidenten mit dessen Wunsch, seinem Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski den Posten zuschanzen, auf dem 2005 gerade erst er selbst - Marcinkiewicz - Platz genommen hatte.

Tatsächlich hat Polens Ex-Premier allen Grund, mit dem Verlauf seiner Karriere unzufrieden zu sein. Seinen Aufstieg vom Physiklehrer zum Premierminister Polens im Herbst 2005 verdankte er vor allem den Zwillingen Lech und Jaroslaw Kaczynski. Das machtbewusste Politikerpaar hievte den damals völlig Unbekannten auf den Schleudersitz, hatten sie doch längst beschlossen, dass nach der Wahl Lech Kaczynskis zum Präsidenten Polens möglichst bald dessen Bruder Jaroslaw den Posten des Premiers übernehmen sollte.

Marcinkiewicz durfte gerade mal ein gutes Jahr lang regieren. Als er begann, selbständig Entscheidungen zu treffen, servierte ihn der Parteichef der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jaroslaw Kaczynski ab. Erst wurde Marcinkiewicz zum kommissarischen Oberbürgermeister Warschaus degradiert, schließlich als Bankberater nach London verbannt. Heute ist der Ex-Premier Polens arbeitslos.

Verbittert wirft er nun Polens Staatspräsident vor, bereits im Dezember 2005 versucht zu haben, ihn mit einem Lauschangriff zu desavouieren und Material für seine geplante Absetzung zu sammeln. Drei verschiedene Personen hätten ihm dies bestätigt, darunter auch indirekt der damalige Inlands-Geheimdienstchef Witold Marczuk, berichtet der Ex-Premier in einem Interview mit der Tagezeitung Dziennik. Der Geheimdienstchef allerdings bestreitet dies. Er habe zu keiner Zeit einen offiziellen Auftrag des Präsidenten erhalten. Im Fernsehsender TVN24 bestätigt der Ex-Premier zwar dessen Version, bekräftigt aber, nie von einem "offiziellen Auftrag" gesprochen haben, der den Geheimdienstchef zum Rechtsbruch gezwungen hätte, sondern nur von einer mündlich vorgetragenen "Bitte" des damaligen Präsidenten. Bereits in seinem Buch "Kulissen der Macht" habe er dieses Thema beenden wollen, ohne jedoch Namen zu nennen. Während der Parlamentswahlen Ende 2007 habe er kein Öl ins Feuer gießen wollen und geschwiegen. Nun aber sei es an der Zeit, das "immer größer gewordene Geschwür" zu entfernen. Er wolle sich endgültig von der Politik verabschieden, letzte Fragen zu seiner Regierungszeit beantworten und wieder ein Privatmann werden.

Sowohl der Sprecher der Präsidialkanzlei als auch der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski bezeichnen die Vorwürfe des Ex-Premiers als "völlige Unwahrheit" und "Lüge". Für Polens heutigen Innenminister Grzegorz Schetyna von der liberalen Bürgerplattform (PO) sind die Anschuldigungen gegen Präsident Lech Kaczynski hingegen nichts Neues. "Es ist Zeit, dass sich nun endlich die Staatsanwaltschaft darum kümmert". Deren Ermittlungen sollen in spätestens einem Monat abgeschlossen sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!