Polizei ließ Waffendealer gewähren

Ein Waffenhändler hat über Jahre Kriminelle mit Maschinenpistolen versorgt. Schon 2008 waren der Hamburger Polizei Beweise gegen ihn bekannt. Ein Journalist gibt die Verantwortung für die Verschleppung in einem offenen Brief nun direkt dem Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Meier

Solche Waffen an Hells Angels zu verkaufen, ist keine gute Idee Foto: Freepic

Von Lotta Drügemöller

10 „Uzis“, 30 „Skorpione“, Schalldämpfer – dass diese scharfen Maschinenpistolen und dazu eine ungezählte Anzahl weiterer Waffen seit 2019 offenbar in Hamburg auf dem Schwarzmarkt an Kriminelle verkauft werden konnten, wirft der Journalist Lars Winkelsdorf aktuell in einem Offenen Brief der Polizei Hamburg vor. Denn dass der Verkäufer als illegaler Waffenhändler tätig sei, das habe die heutige Polizeiführung schon vor 14 Jahren wissen können – oder wissen müssen, meint er.

Wo setzt man an mit dieser Geschichte? Vielleicht im November 2021, als das Landgericht Hamburg ein klares Urteil fällt: Guido W. ist Waffenhändler. Gemeinsam mit einem Kumpanen hat er illegal Waffen und Munition, Schalldämpfer und anderes Waffenzubehör ausgeliefert.

Vier einzelne Verkaufsaktionen zwischen 2019 und 2021 kann das Gericht im Detail nachvollziehen, gegeben hat es vermutlich mehr. Die genannten „Uzis“ und „Skorpione“, Maschinenpistolen also, die unters Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, hat der verurteilte Waffenhändler W. zwar offenbar zwischendurch besessen – bei der Durchsuchung seiner Lager im Frühjahr 2021 wurden sie aber nicht gefunden; sie waren offenbar schon verkauft. „So weit hätte es nie kommen müssen“, meint Winkelsdorf, „wenn man den Fall einfach von Anfang an ordentlich bearbeitet hätte.“

Denn der Anfang, so wie Winkelsdorf das sieht, der steht viel früher – es lohnt ein Blick in die Archive: W. stand schon oft vor Gericht, ein paar Mal wegen Führerscheindelikten, einmal wegen eines gefälschten Ausweises, einmal aber auch wegen Waffenhandels – 2008 war das. 60 illegale Schusswaffen hatte das Hamburger Landeskriminalamt damals bei ihm und zwei weiteren Mitgliedern des Schützenvereins Kaltenkirchen beschlagnahmt; es gab abgehörte Telefonate mit Rockern des Rotlichtmilieus; und Terminhinweise auf Partys beim Hells Angels Charter Northend Alveslohe. Es bestehe der „dringende Tatverdacht“ der illegalen Herstellung von und des Handels mit Waffen, heißt es in einem LKA-Vermerk aus jener Zeit, den die taz zitiert.

Doch bei der Hauptverhandlung gegen die drei beschuldigten Schüt­z*in­nen 2010 ziehen Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt den Vorwurf des Waffenhandels überraschend zurück. Auch von Verbindungen ins Rotlichtmilieu will man plötzlich keine Kenntnisse mehr haben, trotz der Telefonate, trotz der Terminkalender. Die Angeklagten seien nur „Waffennarren“ und hätten eben illegal Waffen gesammelt – ein minder schweres Verbrechen, es folgt eine Bewährungsstrafe.

Ins Rollen gebracht hatte den Fall 2007 Lars Winkelsdorf selbst mit einer Anzeige bei der Polizei: Der Hauptbeschuldigte W. hatte ihm gegenüber gesagt, er liefere Waffen an Bandidos und Hells Angels. Doch statt nur als Zeuge geladen zu sein, landet Winkelsdorf selbst mit auf der Anklagebank: In einem Fernsehinterview hatte W. diverse Waffen vorgezeigt und auch vor der Kamera gesagt, er sei Waffenhändler. Zu der neuen Überzeugung von LKA und Staatsanwaltschaft, dass W. nur Waffennarr sei, passte das nicht. Das Interview, so der Vorwurf, sei gefälscht – der Journalist habe den Schützen zur Falschaussage gedrängt. In zweiter Instanz wurde Winkelsdorf dafür tatsächlich verurteilt. Dabei, so sagt er heute, war er für den fraglichen Fernsehbeitrag nicht einmal verantwortlich; ein Gerichtsverfahren soll in dieser Frage bald für Klarheit sorgen.

So richtig los lässt ihn die Geschichte seitdem nicht mehr: Mehrfach versucht er den Fall neu aufzurollen und stellt außerdem Strafanzeigen gegen die Be­am­t*in­nen von LKA und Staatsanwaltschaft wegen „Strafvereitelung im Amt“.

Als 2014 zumindest die Ermittlungen gegen die Mitglieder des Schützenvereins nach mehreren Fehlversuchen wieder aufgenommen wurden, zieht Winkeldorfs Zeuge die Aussage zurück, die er zuvor eidesstattlich versichert hatte – das Dokument liegt der taz vor. „Die Polizei kam bei ihm vorbei und hat ihn dazu gedrängt“, sagt Winkelsdorf; sein Zeuge habe ihm das so weitergegeben. „Warum schlachtet die Polizei Hamburg einen Journalisten mit einer Verschwörungstheorie, statt einen Waffenhändler zu verfolgen?“ fragt Winkelsdorf heute. „Ich habe bis heute nur die Erklärung, dass W. ein V-Mann war und geschützt werden musste.“

Echte Beweise dazu fehlen; das Urteil erwähnt immerhin, dass W. 2013 mit einem gefälschten Pass ins Ausland reisen wollte; sein sonstiger Lebenslauf legt nicht nahe, warum oder wie er das getan haben sollte.

„Warum schlachtet die Polizei einen Journalisten, statt einen Waffenhändler zu verfolgen?“

Lars Winkelsdorf, Journalist

Verbindungen sieht der Journalist heute überall; er zählt auf, für welche spektakulären Mordfälle der jüngeren Vergangenheit modellgleiche Waffen wie die verschwundenen Maschinenpistolen verwendet worden sind und erklärt, welche Rockergrößen seiner Erkenntnis nach bei W. eingekauft haben. In den nächsten Tagen möchte er über seinen Twitter-Account Stück für Stück immer mehr Vorwürfe veröffentlichen. Misstrauisch macht ihn, dass er seine eigene Akte bei der Polizei nicht mehr einsehen konnte: Die sei verloren gegangen, teilte man ihm zu Prozessbeginn gegen W. mit, nachdem man seine Anfrage zuvor lange Zeit komplett ignoriert hatte.

Die Polizei äußert sich dazu nicht. Auch nicht zu der Frage, ob man W. damals nicht ernst genug genommen habe; nicht zu der Frage, ob man mittlerweile wisse, wo die verlorenen Maschinenpistolen abgeblieben sind. All dies sei „Gegenstand von Ermittlungen, zu deren Ausgang sich eine Aussage durch die Polizei verbietet“, heißt es auf Nachfrage.

Dass Winkelsdorf sich erst jetzt, viele Monate nach der Verurteilung W.s, noch einmal mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet, erklärt der Journalist und Waffenexperte damit, dass er durch den U­krainekrieg zuvor nicht ausreichend Zeit gefunden habe. Rache ist wohl auch Teil seines Motivs: Seinen Offenen Brief mit den Anschuldigungen jedenfalls richtet er direkt an den Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Meier und Vize-Polizeipräsident Mirko Streiber – beide waren während des Prozesses gegen W. und Winkelsdorf für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig und hätten ihn „als Journalisten unterstützen müssen“, findet Winkelsdorf.

„Jedenfalls können sie sich heute nicht rausreden: Die beiden sind direkt verantwortlich und wussten von Anfang an Bescheid“, sagt er. „Dass Ralf Meier hier noch ehrenhaft aus dem Dienst entlassen wird, kann nicht sein.“