piwik no script img

Vorurteile gegen „Almancıs“Höchste Zeit, das aufzuarbeiten

Seit Jahrzehnten bestehen in der Türkei Vorurteile gegen türkeistämmige Menschen in Deutschland. Unseren Autor macht das wütend. Wann hört das auf?

Türkische Gastarbeiter auf dem Weg nach Istanbul, 1970 Foto: Bertram/picture alliance

M eine Tante lebt jetzt schon seit einigen Jahren in Offenbach. Bei einem Besuch gibt es wie immer Tee, Çekirdek, also Sonnenblumenkerne, und ganz viel Tratsch. Weil meine Tante die meiste Zeit ihres Lebens in der Türkei verbracht hat, ist ihr Türkisch perfekt, eigentlich. Als ihr irgendwann versehentlich ein deutsches Wort rausrutscht, nimmt sie ihre Hand vor den Mund, als hätte sie sich versprochen. „Oh Gott, ich hör mich ja schon wie ein,Almancı' an.“ Daraufhin schaut sie in meine Richtung und entschuldigt sich sofort.

Denn der „Almancı“, das bin in ihren Augen ich. Geboren und aufgewachsen in Deutschland, beherrsche ich die deutsche Sprache weitaus besser als meine Muttersprache Türkisch. Wenn ich Türkisch spreche, habe ich einen deutschen Akzent. Wenn mir türkische Begriffe nicht einfallen, ersetze ich sie durch deutsche. Kurzum: Ich spreche wie ein „Almancı“.

Manchmal frage ich mich, ob es noch andere Nationen auf der Welt gibt, die ihrer Diaspora einen so abfälligen Namen gegeben haben wie die Türken. „Almancı“ bedeutet so etwas wie „Deutschländer“, weder Türke noch Deutscher, quasi ein Heimatloser.

Das Wort entstand während der türkischen Gastarbeiterwelle nach Deutschland, Österreich und die Niederlande. Zunächst gab es den Begriff „Gurbetçi“, was nichts anderes bedeutet als Auswanderer. Als sich allerdings abzeichnete, dass viele der „Gurbetçi“ nicht in die Türkei zurückkehren werden, brauchte es neue Bezeichnungen: Der „Almancı“ entstand. Und mit ihm verfestigten sich Vorurteile.

Almancı bedeutet so etwas wie „Deutschländer“, weder Türke noch Deutscher, quasi ein Heimatloser. Ein ziemlich abfälliger Name für eine Diaspora

Ich rufe meine Mutter an und möchte von ihr wissen, woher diese Feindseligkeiten ihrer Erfahrung nach kommen. Meine Mutter ist erst seit Ende der neunziger Jahre in Deutschland, kennt also beide Seiten. „Wir haben immer nur gesehen, wie die 'Almancıs’ im Sommer mit ihrem teuren Wagen und Geschenken wie Kaffee oder Schokolade in die Türkei gekommen sind“, sagt sie.

Den Besuchern sei dann vorgeworfen worden, mit der D-Mark angeben zu wollen. Man habe sich darüber lustig gemacht, dass sie sich an deutsche Gebräuche angepasst hätten. „Wir haben ihnen nicht angemerkt, dass das Leben in Deutschland auch schwer war“, sagt sie. Und vielleicht ist das auch genau ihr Ziel gewesen, denke ich. Sich bloß keine Probleme anmerken zu lassen, keine Schwäche zu zeigen.

Seit der Präsidentschaftswahl vor ein paar Monaten ist der Ton gegenüber in Deutschland lebenden Türken noch etwas rauer geworden. Ihnen wird der Sieg Erdoğans angelastet. Warum die „Almancıs“ wählen, wie sie wählen, dazu kursieren teils absurde Verschwörungstheorien. Beispielsweise, dass sie nur für Erdoğan gestimmt hätten, damit es dem Land schlecht gehe und sie günstig in den Urlaub fahren könnten. „Hätten die ‚Almancıs‘ nicht gewählt, dann hätte Erdoğan nicht gewonnen“, liest man in den sozialen Netzwerken häufig.

Dabei ist das meiner Meinung nach eine klare Problemverschiebung nach außen. Denn auch die in der Türkei lebenden Türken haben Erdoğan gewählt, es ist ihre Entscheidung gewesen und sie müssen mit den Folgen leben.

Dass es auch die Vorurteile gegenüber „Almancıs“ sind, die solche Schuldzuweisungen auslösen, macht mich wütend. Es ist so einfach, über einen deutschen Akzent zu lachen, wenn man selbst nie Rassismus erlebt hat. Es ist einfach, den „Almancıs“ die Schuld zu geben für interne Probleme. Was nicht einfach ist, aber dringend nötig wäre: die seit 60 Jahren andauernde Stigmatisierung von „Almancıs“ ernst zu nehmen und aufzuarbeiten. Oğulcan Korkmaz

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Oğulcan Korkmaz
In Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Jetzt irgendwas über Kultur schreiben.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Dass ausgewanderte Türken in Deutschland Erdoĝan wählen ist solch ein schrecklich großes Rätsel nicht. Sie wählen ihn, weil sie sich in Deutschland als Türken identifizieren, die ihn deswegen als ihren Präsidenten und als eine starke türkische Persönlichkeit ansehen, die dem Rest der Welt die Stirn bietet.

    Zugleich haben sie über die politischen Verhältnisse in der Türkei meist keinen sonderlichen Überblick, verfolgen keine täglichen Debatten dort und kennen im wesentlichen Erdoĝans Reden und seine kostspieligen Prestigeprojekte.

    Aus diesem Grund halte ich das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft für höchst fragwürdig. Ein Mensch sollte sich darüber klar werden, wo die für ihn wichtigen Entscheidungen stattfinden und nicht an Wahlen teilnehmen, von deren Ergebnis er nicht direkt betroffen ist.

    Mir würde es jedenfalls nicht behagen, wenn deutsche Emigranten, an einer Bundestagswahl teilnähmen und ihre Wahlentscheidung einzig auf den Wunsch stützten, in ihrer neuen Heimat stolz auf ihr Herkunftsland sein zu können.

    Während des türkischen Verfassungsreferendums vor einigen Jahren war auffällig, dass lediglich die britische Diaspora eindeutig dagegen votierte; es war die einzige, deren Menschen sich mit dem Gedanken befassen mussten, möglicherweise bald wieder in der Türkei leben zu müssen.

  • Naja, dass einige DeutschtürkInnen, aber wohl nicht die Mehrheit, durchaus gezielt so wählen dass eher sie selbst davon möglichst viel im jährlichen Sommerurlaub profitieren anstatt sich über alltägliche Probleme der (Türkei-)TürkInnen zu informieren oder diese auch demokratisch ernst zu nehmen, ist leider keine Verschwörungstheorie sondern kommt sehr häufig vor.

    Und in der Türkei sind nun mal viele Menschen fest ins System AKP integriert. Natürlich lag es aber nicht an DeutschtürkInnen dass die AKP gewinnen konnte. Unter Anderem aber an großen Wahlgeschenken, unverhältnismäßiger, stark einseitiger Berichterstattung sowie systematischen Wahlbetruges.

    DeutschtürkInnen werden von ignoranten Deutschen als TürkInnen gesehen und in der Türkei als dreiste 'Deutschländer' die tatsächlich in vielerlei Hinsicht völlig anders sind als viele Türkinnen und auch sehr deutsch geprägt sind. Das betrifft Sprache sowie kulturelle Kenntnisse und Gewohnheiten. DeutschtürkInnen befinden sich leider durchaus in einer deutsch-türkischen Identitätskrise, nutzen das aber auch aus und behaupten wenn es profitabel ist dass sie deutsch seien, wenn es aber profitabler für sie ist in einer Situation türkisch oder pseudotürkisch zu sein, behaupten sie türkisch zu sein. Was an sich nichts Schlechtes ist aber eine gewisse Doppelmoral zelebriert.

    Dann machen diese 'Auswanderer' in der Türkei einen auf dicke Hose und das ist wohl einleuchtend dass das nicht gut ankommt. Dass seit Jahren die Lira dermaßen wertlos geworden ist verstärkt die Wut auf die Almancı TouristInnen in der Türkei logischerweise noch um ein Vielfaches.

  • Osman fragen...



    Kann nur hilfreich sein, oder Mehmet...

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      ... oder Eminanim,



      oder Lovando, ist da in Räuberfeld auch in guter Umgebung...

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        ...will sagen: in guter Gesellschaft!!!

  • Weil eingangs gefragt wird, wie es sich wohl bei anderen verhält, dazu hier ein ergänzender Beitrag: Griechischstämmige Migrant*innen in Deutschland werden als Laz-Deutsche (Λαζογερμανοί) bezeichnet, was abwertend verwendet wird und vor allem jene meint, die in der alten Heimat recht plump einen auf dicke Hose machen. Wobei der Begriff bei weitem nicht so verbreitet ist, wie der des Almanci.



    Woher kommt dieses Wort? Die Antwort ist etwas kompliziert und reicht zurück zum griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch nach dem Jahr 1922. Denn damals wurden die Schwarzmeergriechen (sog. Ponten) fast geschlossen nach Nordgriechenland zwangsumgesiedelt, wo sie sich mit der alteingesessenen Bevölkerung vermischten. Dort haben daher besonders viele Menschen eine Schwarzmeerwurzel. Da wiederum die meisten griechischen Gastarbeiter und ihre Nachfahren aus Nordgreichenland stammen, sind viele von ihnen Ponten oder - um es türkisch zu formulieren - Laz (wenn auch nur im geografischen, nicht im ethnischen Sinne). Was dann wiederum zur Bezeichnung des Lozogermanos geführt hat.



    Aus Südgriechenland und von den Inseln sind die Menschen übrigens meistens in die USA und nach Australien ausgewandert. Infolgedessen ist die Spezies des Μπρουκλινλής enstanden, was nichts weiter ist als gräzisierte Form des türkischen Brooklynli (=der aus Brooklyn stammende).

    • @melly:

      Ja unsere griechischen Nachbarn erzählen immer, wenn sie aus Stuttgart nach Alexandropolis kommen, heiße es immer :"Die Deutschen kommen".... Aber auch innerhalb Griechenlands pflegt man alte Ressentiments, so werden heute noch auf der Insel Chios, nicht weit entfernt von Izmir/Smyrna, Nachfahren der 1923 vertriebenen Griechen als "türkischer Samen" bezeichnet..... Dummheit ist International.....

    • @melly:

      Wow. DANKE! Ich liebe so Tage, wo ich klüger ins Bett gehe, als ich aufgestanden bin.

  • In NL, Österreich und D wählten durchgehend 70% der Türken Erdogan.



    Das ist schon eine andere Hausnummer als in der Türkei, insofern kann man durchaus zurecht sagen, dass Erdogan ohne die Auslandstürken nicht gewonnen hätte. Die waren seine sicherste Bank.

  • “… brauchte es neue Bezeichnungen: Der „Almancı“ entstand.”

    Der Begriff “ Almancı” ist ganz offensichtlich türkischer Natur!



    Der Autor bestätigt das nach Aussage seiner Mutter selbst und so: “… woher diese Feindseligkeiten ihrer Erfahrung nach kommen…. „Wir haben immer nur gesehen, wie die 'Almancıs’ im Sommer mit ihrem teuren Wagen und Geschenken wie Kaffee oder Schokolade in die Türkei gekommen sind”,… (Ihnen) sei dann vorgeworfen worden, mit der D-Mark angeben zu wollen. Man habe sich darüber lustig gemacht, dass sie sich an deutsche Gebräuche angepasst hätten.”

    Demnach ist dieser feindselig anmutende Begriff also ganz eindeutig keine Deutsche Erfindung, sondern eine eigens —türkische— !

    Dass langjährig in der BRD lebende türkischstämmige Mitbewohner ganz bewusst eine Partei und damit bekanntermaßen einen seit vielen Jahren negativ-manipulativen, demokratiefeindlichen, Brutalität-verordnenden Staatsmann wählt, hat daher gar nichts mit dem wohlbemerkt türkischen Begriff “ Almancı” zu tun:

    1.) Kein*e Deutsche*r würde diesen türkischen Begriff als Bezeichnung wählen.



    2.) Warum Türkischstämmige einerseits in Deutschland unter weitaus positiveren politischen und sozial-finanziellen Vorzeichen leben, andererseits dann aber einem antidemokratisch gesonnenen Staatsführer —auch— zum Sieg verhelfen, mag so einigen Deutschen nicht einleuchten. Dass hier Kritik laut wurde, kaum verwunderlich. Und das darf man aufgrund des Gebots freier Meinungsäußerung in der BRD hier auch ganz offen sagen.



    3.) Die Kritik hat überhaupt nichts mit Ausländerfeindlichkeit, sondern mit reiner Logik zu tun:Wie kann man dauerhaftes Leben in einem demokratischen Staat vorziehen gegenüber dem xy-stämmigen Land voller politisierter Demokratiefeindlchkeit, brutalem Vorgehen gegen definierte “politisch Verfolgte”, Inhaftierte, d.h. u.a. auch freie Journalisten…und letzteres befürworten?!

    Die hier geschilderte Problematik ist daher in meinen Augen überhaupt nicht nachvollziehbar.