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Vorstoß der LinkenGysi gegen Fünf-Prozent-Hürde

Ist das Karlsruher Urteil zur Sperrklausel bei Europawahlen auch auf die Wahl zum Bundestag anwendbar? Die Linke glaubt das und plant bereits eine Verfassungsklage.

Will die Fünf-Prozent-Hürde auch bei Bundestagswahlen abschaffen: Gregor Gysi. Bild: dapd

FREIBURG taz | Die Linke will die Fünf-Prozent-Hürde auch bei Bundestagswahlen abschaffen. Dies kündigte Fraktionsschef Gregor Gysi am Donnerstag im Deutschlandfunk an. Seine Fraktion werde einen Weg suchen, um das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. "Ich finde, dass eine Bevölkerung entsprechend ihrem Wunsch auch vertreten sein muss im Parlament", sagte Gysi.

Gysi betont, dass er nicht im taktischen Interesse der Linken argumentiert. Tatsächlich ist die Vorgängerpartei PDS aber schon zwei Mal unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben. 1994 erhielt sie 4,39 Prozent und 2002 nur 3,99 Prozent. 1994 konnte sie trotzdem mit 30 Abgeordneten in den Bundestag einziehen, weil sie mehr als drei Wahlkreise direkt gewann.

Diese Grundmandate-Klausel nutzte 2002 aber auch nichts mehr, als nur Petra Pau und Gesine Lötzsch ein Direktmandat errangen. Damals blieb es bei zwei Sitzen für die PDS.

Die Linke will sich nun auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts berufen. Am Mittwoch entschied Karlsruhe, dass die Fünf-Prozent-Klausel bei Europawahlen nicht zu rechtfertigen sei. Zum einen finde sich die Vielzahl europäischer Parteien am Ende stets in wenigen großen Fraktionen zusammen. Zum anderen komme es auf eine stabile Mehrheitsbildung in Straßburg auch nicht an, da es keine vom Parlament getragene europäische Regierung gebe.

Der NPD nicht die Tür öffnen

Beide Kernargumente lassen sich nicht auf Bundestagswahlen übertragen. In der Bundespolitik ist es üblich, dass eine Regierung über vier Jahre hinweg von einer festen Koalition getragen und nicht mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt wird. Eine stabile Regierungsmehrheit ist aber umso schwieriger zu erreichen, je mehr Parteien daran beteiligt sein müssen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich Klein-Parteien wie die Freien Wähler, die NPD oder die ÖDP nach dem Einzug in den Bundestag sofort einer anderen Fraktion anschließen (dürfen).

Eine Verfassungs-Klage gegen die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundes- oder Landtagswahlen hätte deshalb keine Aussicht auf Erfolg. Der Eingriff in die Gleichheit der Wahl ist hier durch den Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments gerechtfertigt.

Allerdings gibt es auch keine Pflicht, die Fünf-Prozent-Hürde beizubehalten. Der Bundestag könnte sie jederzeit abschaffen. Es fehlt jedoch an der entsprechenden Mehrheit, da sowohl CDU/CSU als auch SPD an der Sperrklausel festhalten wollen.

Selbst die Grünen, die noch in den 90er-Jahren die Abschaffung forderten, würden heute einen entsprechenden Antrag der Linken ablehnen. "Wir wollen nicht der NPD die Tür zum Bundestag öffnen", sagte Volker Beck, der parlamentarische Geschäftsführer. Die FDP-Fraktion teilte auf Nachfrage nicht mit, wie sie derzeit zur Fünf-Prozent-Hürde steht.

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17 Kommentare

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  • E
    Ersatzstimme

    Ich stimme zu, dass eine zu große Anzahl von Parteien im Parlament problematisch ist. Die derzeitige Lösung führt aber zu einer strategischen statt freien Wahlentscheidung - viele wählen X, obwohl sie eigentlich Y wollen, aber fürchten, daß Y es nicht schafft.

     

    Daher schlage ich vor, ergänzend eine "Ersatzstimme" hat, für den Fall, dass die "Erststimme/Erstwahl" nicht zum Zuge kommt. Dann kann man auch eine Prozenthürde beibehalten, oder, wohl noch sinnvoller, eine Hürde in der Art "die z.B. 6 stärksten Parteien dürfen ins Parlament einziehen" einführen.

    Das Auszählen dauert dann halt etwas länger (vielleicht müssen dann 25 % der Stimmzettel ein zweites Mal ausgezählt werden), aber das sollte uns die Demokratie wert sein! (Kumulieren und Panaschieren ist weit aufwendiger).

    Über besonders wichtige oder umstrittene Fragen sollte auch auf Bundesebene direkt abgestimmt werden können - aber das ist eben nur sinnvolle Ergänzung, nicht Ersatz für Repräsentative Demokratie.

  • T
    Thomas

    Muss man denn die Fehler der Vergangenheit noch einmal wiederholen? Die Lektion aus Weimar sollte doch gelernt worden sein. Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass Gysi mit dem Erbe von Weimar nicht viel anfangen kann. Aber man muss gar nicht soweit zurückschauen. Es reicht ein Blick in die politischen Systeme der Nachbarländer wie etwa Italien. Dort existier keine solche Hürde und es ist nur an die Probleme zu erinnern, welche Romano Prodi deswegen hatte, um eine halbwegs stabile Mehrheit aufzubauen, die ja bekanntermaßen nicht lange gehalten hat, wodurch wieder Berlusconi wieder an die Macht kam. Demokratie erfordert Stabilität und Funktionsfähigkeit. Dieser sind insofern höher zu gewichten, als eine absolut spiegelbildliche Darstellung des Wählerwillens im Bundestag. Es ist in einer Gesellschaft niemandem gedient, wenn ein Land von einer Regierungskrise in die andere stürzt. Auch kann niemand ernsthaft behaupten, dass das durch das bestehende System neue Parteien keinen Zugang ins Parlament finden können. Die Piratenpartei belegt ganz klar, dass das nicht der Fall ist. Im Übrigen soll man sich keine Hoffnungen machen. Selbst wenn die Linkspartei vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird, so wird der einzige Erfolg ein PR-Effekt sein. In seinem Urteil zur 5%-Hürde bei den Europawahlen hat das Bundesverfassungsgericht klar zum Ausdruck gebracht hat, dass die Gründe für die Beibehaltung dieser Hürde bei den Bundestagswahlen immer noch Bestand haben

  • J
    Joachimg

    die sitze im bundestag/ bundesrat/ etc.

     

    nach der wahlbeteiligung vergeben sprich wenn nur

    50% der leute wählen gehen können eben nur noch 50% de sitze vergeben werden. das setzt die politik unter druck auch mal dem wirklichen wählerwillen bzw. den problemen der bevölkerung zuzuhören und das zu tun was menschen im land wollen und nicht irgendwelche bezahlten lobbyisten daherschwafeln.

  • OB
    Oliver Bayer

    Auch wenn die Linke bei der nächsten Bundestagswahl vermutlich Federn lassen wird: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei unter der 5%-Marke landet, ist in meinen Augen sehr gering. Von einem Wegfall der 5%-Hürde würden aus meiner Sicht primär die Piraten profitieren, die bekanntlich in den selben Gewässern fischen wie die Linke. Soll heißen: Der Linken taktische Manöver vorzuwerfen, ist nicht wirklich angebracht. Ich jedenfalls sehe in dem Vorstoß keine Begünstigung der Linken, eher das Gegenteil.

  • W
    Wolfgang

    Eine Regierungsperiode von 4 Jahren ist nicht nur üblich, sie steht so im Grundgesetz. Nur beim Scheitern einer Regierung kann die Periode kürzer sein.

    Zum Schutze dieser grundgesetzlichen Regierungszeit gibt es die 5%-Klausel.

  • B
    Branko

    Eine Abschaffung der 5%-Hürde würde der Politik in Deutschland keinen positiven Aufschwung verschaffen.

    Im Gegenteil.

    Dann hätten wir nur ein noch größeres Durcheinander von Laberköppen in Bundestag und Bundesrat, mit dem Ergebnis, daß dann gar nix mehr passiert - so wie schonmal.

     

    Vielleicht möchte Herr Gisy, daß die NPD eine Chance erhält Deutschland wiederzuvereinigen, und er nach diesem Versuch dann die Regierung in einer der Besatzungszonen übernehmen kann.

     

    Wir brauchen keine Abschaffung der 5%-Hürde.

    Was wir brauchen, ist dem Wähler die Angst zu nehmen, seine Stimme einer Partei zu geben, die nicht schon bereits über 5% ist.

    Mal den Mut aufzubringen, auf den Stimmzettel zu schauen, welche Parteien noch drauf stehen. Parteiprogramme lesen ist ätzend, ja - ist halt Text und kein 20 Sekunden Video mit Lachplatten unterlegt (Da keimem Ideen :-).

    Aber lieber selber lesen, als sie sich von den Medien zusammenfassen zu lassen.

     

    Sämtliche Parteien, die derzeitig im Bundestag sitzen komplett rauswählen und andere reinsetzen.

    Das würde einen Kurswechsel in der Politik bewirken - und gleichzeitig die Korruption eindämmen - wetten?

  • M
    manfred (59)

    „In der Bundespolitik ist es üblich, dass eine Regierung über vier Jahre hinweg von einer festen Koalition getragen und nicht mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt wird.“

     

    Nur weil etwas „üblich“ ist, muß es doch nicht so bleiben. Dieser Satz impliziert, daß natürlich jeder Abgeordnete mit seiner Fraktion zu stimmen hat, ergo sich nicht mit den anstehenden Themen befassen muß, denn der Fraktionsvorsitzende wird im schon sagen, wann er die Hand heben muß. Tut er das nicht, wird er als „Abweichler“ beschimpft und das warme Plätzchen an der steuerfinanzierten Futterkrippe ist futsch. So sieht dann das Wissen einiger Abgeordneter um die anstehenden Probleme auch aus. Reines Stimmvieh.

     

    Woher stammt eigentlich die 5%-Untergrenze? Wie ist die begründet? Weshalb sind es nicht beispielsweise 3%, 10% oder, praktischerweise, gleich 50%? Diese Grenze ist reine Willkür.

     

    Es gäbe nur einen Weg aus diesem Schlamassel: Direktmandate und ein Verbot parteipolitischer Betätigung für Abgeordnete innerhalb der „Bannmeile“ mit sofortigem Ausschluß aus dem Parlament bei Verstößen dagegen.

     

    Nur noch namentliche Abstimmungen könnten die Transparenz für den Wähler erhöhen. Maximal zwei oder drei Legislaturperioden für jeden Abgeordneten wären auch genug. Es könnte etlichen Abgeordneten nicht schaden, wenn sie nach der Zeit in den bequemen Parlamentssesseln in den Genuß der Folgen ihrer eigenen Beschlüsse kämen. Das wäre mal Demokratie!

  • A
    Anna

    Klar die großen Parteien sind dagegen. Dass aber bei einer Wahlbeteiligung von nur 50% der gewichtete Anteil dann gut über 5 % liegen kann sollte mal hier vorgerechnet werden und erklärt werden. Geringe Wahlbeteiligung und 5% Klausel machen die Wahlen wenig representativ.

  • L
    Lenny

    Zitat:

    "In der Bundespolitik ist es üblich, dass eine Regierung über vier Jahre hinweg von einer festen Koalition getragen und nicht mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt wird."

     

    Öhm...sorry, aber steht ein "Gewohnheitsrecht" nur weil etwas "üblich" ist, jetzt über dem Grundgesetz?

  • V
    vic

    Ich bin dafür die 5% Hürde beizubehalten. Obwohl ich seit der WASG links wähle, und mein Votum damit lange Zeit im christlich-neoliberalen Meer unterging.

  • H
    HaHa

    Die FDP teilte auf Nachfrage also mal wieder nichts mit...Also genauso nichtssagend wie deren politische Arbeit.

     

     

    Übrigens: Das Argument, dass die Abschaffung der 5-Prozent ein Türöffner für die NPD wäre, halte ich für falsch. Wollen wir uns wirklich solch ein demokratisches Grundrecht nur wegen einer einzelnen Partei einschränken lassen? Das kann ja wohl nicht sein. Wenn eine Partei für den Staat und die Gesellschaft wirklich gefährlich ist, sollte man sie verbieten! Darum sollte man sich kümmern, nicht sich von ein paar braunen Lumpen die demokratische Freiheit einschränken lassen.

     

    Und überhaupt muss man sie Hürde nicht komplett abschaffen, eine Absenkung auf z.b. 3 Prozent wäre eine Lösung mit der alle Seiten bestens leben können!

  • N
    Ndege

    "Die FDP-Fraktion teilte auf Nachfrage nicht mit, wie sie derzeit zur Fünf-Prozent-Hürde steht."

     

    Und die Pointe kommt immer am Schluss.

  • S
    Slobo

    Die Linkspartei muss an dieser Stelle einfach mal gelobt werden: Der Vorschlag ist klasse! Dann würde wenigstens mal frischer Wind in den Bundestag kommen - wobei die NPD getrost draußen bleiben kann. Die brauchen wir wirklich nicht.

     

    Aber vielleicht würde es dann endlich mal fraktionsübergreifend um Inhalte gehen...engstirnige Positionen, das stetige Aufeinander-Rumhacken, pauschale Ablehnen von Vorschlägen aus "Feindparteien" - das muss endlich aufhören!

  • PH
    Prozent Hürde

    Dann fehlt nur noch Hyperinflation und die Geschichte wiederholt sich. Italienische Verhältnisse. 5 Regierungen in 4(?) Jahren.

     

    Jeder der gewählt hat, sollte von jemandem im Bundestag vertreten sein. Das kann man aber auch anders erreichen. Leider gibts keine konstruktiven legalen Diskussionsorte dafür.

  • E
    Eike

    Ehrlich gesagt bin ich sehr, sehr froh, wenn die 3%-Kleinpartei genannt FDP im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten ist.

  • BN
    Bernd Nicht

    Was los Gysi? Schiss das die Linke unter 5% rutscht?

  • EA
    Enzo Aduro

    Bloß nichtt die 5% Hürde abschaffen. Das ist Naiv. Das Parteienangebot ist auch mit der 5% Hürde umfangreich, daneben gibt es noch die Grundmandatsklausel, das genügt.

     

    Keine italienischen/Weimarer Verhältnisse.

     

    PS: Die Urteilsbegründung des BVerfG bei der EU-Hürde schien mir sehr Eindeutig.