Vorstand von Juventus Turin tritt zurück: Fiktive Zahlen, juristische Folgen
Bilanzfälschung als neue „Calciopoli“? 16 Jahre nach dem Korruptionsskandal stehen Bilanzen des italienischen Dauermeisters unter Fälschungsverdacht.
Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft traf den Klub gewissermaßen unvorbereitet: Der Rücktritt des Vorstands sollte die Juventus AG vor einem Börsencrash schützen, wenn die Ermittlungen zu einer Anklageerhebung führen sollten. Juventus hat sich bei einer Pressemitteilung erklärt und die Vorwürfe der Bilanzfälschung abgestritten.
Unter strenger Sonderprüfung der Turiner Staatsanwaltschaft und der italienischen Börsenaufsichtsbehörde (Consob) stehen die Bilanzen der letzten drei Jahre, die mutmaßlich gefälscht wurden. Einerseits steht der Zahlungsaufschub der Spielergehälter während der Hauptphase der Pandemie 2020/21 im Fokus: Der Klub habe nicht alle Saläre an Spieler und Funktionäre korrekt versteuert. Ähnliche Unregelmäßigkeiten seien auch in der Bilanz 2021/22 zu finden, wo laut Anklage 34 Millionen Euro fehlen. Darunter die 19,9 Mio. der „Carta Ronaldo“, jenes Dokumentes, das eine einmalige Zahlung an den damaligen Juve-Star aufweist: Brisant, da der Klub ausgewiesen hatte, dass die Spieler während der Coronapandemie auf vier Monatslöhne verzichtet hätten. In der Anhörung vor dem Staatsanwalt hat Cristiano Ronaldo es vorgezogen, dazu keinerlei Fragen zu beantworten.
Dazu kommt das Thema Transfergewinne. Die Consob und die Turiner Staatsanwälte sind davon überzeugt, dass einige Geschäfte fiktiv gewesen sein, weil die Gewinne beim Spielerverkauf durch Überbewertung der Spieler überhöht wurden. Darüber hatten schon die sportlichen Richter der Fußballverband-Anwaltschaft Ende April ihr Urteil gesprochen: Alle Angeklagten von Juventus und weiteren Klubs wie Sampdoria Genua, SSC Neapel und Genua CFC wurden freigesprochen. Den Wert eines Spielers objektiv zu bestimmen, sei unmöglich, urteilten die Richter. Die Akten dieses Verfahrens hat nun doch die Turiner Staatsanwaltschaft beantragt, weitere Entwicklungen sind wohl abzuwarten.
16 nach Calciopoli
Mittlerweile ist der Eindruck auf die italienischen Fußballwelt sehr stark. Sechzehn Jahre nach dem Korruptionsskandal „Calciopoli“, in Folge dessen Juventus mit dem Abstieg in die Serie B bestraft wurde, stürzt der Klub der Familie Agnelli erneut ins Chaos. Der Rückzug des gesamten Vorstandes wurde von John Elkann beschlossen, deswegen sieht es auch wie eine Familienaffäre aus. Andrea Agnelli ist der Sohn von Umberto, John Elkann der Enkel von Gianni Agnelli, Aufsichtsratsvorsitzender von Stellantis, Ferrari und der Investmentgesellschaft Exor, welche die Beteiligungen der Familienholding verwaltet. Der echte Machthaber also. 2010 hatte Elkann den damals unbekannten Cousin Andrea bei dessen Kandidatur zum Präsidenten unterstützt. Die Ära von Luciano Moggi, Antonio Giraudo und Roberto Bettega, die für den „Calciopoli“-Skandal die Hauptverantwortung trugen, ging damals unrühmlich zu Ende.
Einen Wechsel der Klubführung hatte Elkann bereits geplant: Juventus hat in den letzten Jahren zu viele Fauxpas begangen, auf und neben dem Platz. Andrea Agnelli erlebte eine erfolgreiche Zeit als Präsident mit neun Serie-A-Titeln in Folge, geriet aber immer wieder in die Kritik, unter anderem, weil er als Verfechter der umstrittenen Super League gilt und bis zuletzt für die Einführung dieser neuen Liga kämpfte.
Neuer Präsident ist jetzt Gianluca Ferrero, Geschäftsführer ist Maurizio Scanavino: Beide Vertrauensmänner von John Elkann. Die Fans wünschen sich die Rückkehr von Klublegende Alessandro Del Piero als Vizepräsidenten. Bei der Vorstandssitzung am 18. Januar werden ein paar wichtige Entscheidungen getroffen. Die Turiner Richter treffen vielleicht eine historische.
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