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Vorsprung auf Schienen

Baumwollplantagen und Blastbeats: „Helgoland“ vertonen im Metropolis Viktor Turins späten Stummfilm „Turksib“  ■ Von Alexander Diehl

Immer wieder Eisenbahn: zent-rales Instrument der nachholenden Industrialisierung der jungen So-wjetunion, wie es unlängst an dieser Stelle hieß; gleichsam wesentlicher Teil der revolutionären Aufklärung, Bildung und Propaganda, dienten Schienen und Lokomotiven (und Geschwindigkeit) filmischer Inszenierung immer wieder als Metaphern für den technischen Fortschritt im historisch richtigen, nämlich sozialistischen Sinne, wie auch für das Zusammenwachsen dessen, was die Sowjetunion werden sollte. Jetzt zeigt das Metropolis eine Perle solchen Filmschaffens zwischen Dokumentation und Appell, dem Zeigen dessen, was nötig ist und der Beschwörung der entsprechenden Veränderungen.

Viktor Turins Turksib von 1929 – Die Stahlstraße untertitelt – ist einer der zentralen sowjetischen Dokumentarfilme des späten Stummfilmzeitalters – dessen Ende er gleichsam markiert. Bald darauf entsandte man die ersten Tonfilmer in die entlegensten Winkel der werdenden Union. „Nicht der Ton ist die Revolution“, schrieb der britische Kritiker Carter 1930, „sondern Turins Film ... Es ist der beste Film nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch im Weltmaßstab.“

Turksib schildert den Bau der gleichnamigen Eisenbahnstrecke von Turkmenien und Kasachstan nach Sibirien mit dem 1927 begonnen wurde. Er zeichnet ein Bild jener abgeschiedenen Gegenden, deren landwirtschaftliche, später freilich auch schwerindustriell verwertbare Rohstoff-Potentiale nur unzureichend ausgeschöpft werden, weil es an Infrastruktur fehlt: Das wenige Wasser, das die Schneeschmelze der trockenen Gegend beschert, dient zunächst dem Anbau von Weizen. Die ebenfalls vorkommende Baumwolle bleibt kaum berücksichtigt – während am anderen Ende des Landes „mit sowjetischem Gold bezahlt, ägyptische, amerikanische Baumwolle“ anlandet. „Liefert Zentralasien Brot“, so die Schlussfolgerung im Zwischentitel, „dann wird sie auf den befreiten Feldern wachsen: die Baumwolle.“ Landvermesser kommen, und in Alma-Ata wird mit den Planungen für eine Eisenbahnlinie begonnen, knapp 1500 Kilometer lang bis nach Sibirien zur Transsibirischen Eisenbahn, die nach Westen führt.

„Die künstlerische Kraft von Turksib entsprang dem filmischen Ausspielen des authentischen dramatischen Kampfes des Menschen mit den Naturgewalten“, heißt es in Toeplitz' Geschichte des Films. Mit der Darstellung der Sprengungen, des Grabens, Aufschüttens und Verlegens „beginnt der Rhythmus der Arbeit den Rhythmus des Films zu bestimmen.“ Zunehmend beschwören die Zwischentitel die rechtzeitige Fertigstellung des gigantischen Projekts, die der Film selbst freilich nicht mehr abbilden konnte: „1931“ heißt es in immer größeren Lettern, und „Die Turksib muss gebaut werden!“

Hamburgs mal sportive, mal verschmitzte Kleinodpopper Helgoland haben bereits mehrfach sowjetische Stummfilme im Metropolis vertont. Nach Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin und Aelita von Jakow Protasanow wird die Band jetzt drehenden Spindeln und Sturzbächen von Tauwasser eine akustische Dimension hinzufügen, um schließlich den ersten Wettlauf zwischen Reitern und dem Stahlross auf Schienen mit Blastbeats und Bollern, Schmunzel-Swing und allerlei merkwürdigem Geräusch zu begleiten.

Sonnabend, 20 Uhr, Metropolis

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