■ Vorschlag: Die seltene Kunst des Erzählens: Maria Schilds Märchenweltreise
Plaudern kann jeder, das beweisen die unzähligen Talkshows. Aber wer kann richtig erzählen, so, daß man Zeit, ja vielleicht sogar Raum vergißt? Die Kunst des Erzählens kam in der westlichen Welt aus der Mode. Eine kluge Frau hat sie für sich und ihre wachsende Anhängerschar wiederentdeckt: Maria Schild, die Märchenerzählerin. Noch bis Ende Januar heizt die Berlinerin Sonntag für Sonntag den Samowar im Theater Hans Wurst Nachfahren, bereitet schwarzen Tee aus Turkistan, stellt Datteln, Sesamkekse, Kichererbsen und andere exotische Knabbereien bereit. Die Bühne ist mit einem Seidenbild aus China, einem Nomadenteppich aus Syrien, Kerzen und Blumen geschmückt. Es ist klar, wo die märchenhafte Reise hingeht: gen Osten.
Ins Reich der Märchen brach Maria Schild indes viel früher auf. Nach der Schauspielausbildung und verschiedenen Engagements wurde sie Erzieherin, dann studierte sie Sozialpädagogik. Neben der Arbeit als Familienberaterin beim Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. studierte sie dann ein zweites Mal: Ethnologie. Gerade die sibirischen Schamanen hatten es ihr angetan. Eine Reise führte sie 1984 in das Land ihrer Träume. Seitdem lassen sie Märchen, Mythen und Legenden fremder Völker nicht mehr los. Mittlerweile hat sie sich in allen Ländern entlang der Seidenstraße umgesehen, mit Menschen gesprochen, ihnen an historischen Orten Gedichte der dortigen Klassiker vorgetragen, Geschichten erzählt. Nur Bagdad, dessen Märchen morgen an der Reihe sind, fehlt noch. Und nach der Seidenstraße wird die Pelz- und die Weihrauchstraße bereist — auf der Suche nach neuen Märchen.
Im Theater erfahren die Zuhörer zunächst etwas über Kultur, Land und Leute, aber vor allem eins: Es gibt mehr als nur Schreckensmeldungen aus diesen Regionen. Und es wird deutlich, daß sich „die Legenden aller Völker gleichen. Sie erzählen von Liebe, Glück und Wohlstand. Sie unterhalten und belehren zugleich, denn immer siegt das Gute“, erklärt die Fachfrau. Die Dummheit der Obrigkeit wird aufs Korn genommen, die Pfiffigkeit der kleinen Leute und die Klugheit der Frauen beschrieben. Nett verpackte Wahrheiten. Wenn das nicht aktuell ist. Andreas Hergeth
Bis 25.1., sonntags, 20.30 Uhr, Theater Hans Wurst Nachfahren, Gleditschstr. 5, Schöneberg
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