■ Vorschlag: „Wild Women Blues“ im Theater der Freien Volksbühne
Der Ansager war nicht eingeplant zur Weltpremiere, mußte aber die Abwesenheit der Tänzerin Liz Ramos wegen eines Sturzes aufs Hinterteil bei der Generalprobe verkünden. Er entschuldigte eventuelle Fehler mit der erhöhten Nervosität der Darstellerinnen.
Es waren gerade die kleinen Unpäßlichkeiten — der Abgang durch die falsche Kulisse, der zu früh geschlossene Vorhang, der heruntergefallene Kopfschmuck — die für Gekicher und Zwischenapplaus sorgten. Die Darstellerinnen und das Publikum nahmen's mit Humor. Schließlich ist dies keine durchgestylte und computergesteuerte Show singender Fotomodelle: Hier präsentieren drei kompakte Frauen ihr ungereimtes Leben in gereimten Liedern.
Das Lesen der Besetzungsliste zwingt zum Vergleich mit der Musical-Revue „Black And Blue“, die vor einem Jahr die Berliner begeisterte. Mel Howard als Produzent, das Tanzpaar Liz Ramos und Dexter Jones, der Choreograph Henry Le Tang — und die zwei Diven Linda Hopkins und Maxine Weldon. Aber es gibt keine Dubletten. Hopkins hat neue Songs zusammengestellt, die vor allem Hoffnung und Überlebenswillen ausdrücken sollen. Ohne verbindende Worte und ohne Handlung folgen zwei Stunden über das Wohlbefinden und Unwohlbefinden von schwarzen Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen. Nachdenklich sinniert Hopkins „Nobody Knows You When You Are Down And Out“, explodiert dann im „Downhome Blues“ im freizügigen Kleid mit Straß und Fransen. Und wenn sie — die ihren 73. Geburtstag für Sonntag ankündigte — die Hüften erotisch kreisen läßt, tobt das Auditorium. Sie jammert über die schmerzenden Füße in den engen Stöckelschuhen, fordert einen Gast in der ersten Reihe auf, dieselben abzunehmen, fetzt dann befreit los: „Night Time Is The Right Time“. Eine Komikerin mit zwanzig Jahren Broadway-Erfahrung.
Dem Beifall nach zu urteilen, scheint Maxine Weldon mit ihrer tief emotionalen, aber äußerst klaren Stimme die Höhepunkte gesetzt zu haben mit „Your Place Or Mine“ und „Always On My Mind“, zwei bluesig interpretierten Countrysongs, und „Watching The River Flow“ von Bob Dylan. Da ging die Jüngste, Brenda Lee Eager, mit ihrem etwas zaghaften „Midnight Hour“ fast unter, aber nach der Ballade „The Man I Love“ wollte der Beifall nicht enden: eine Nostalgiereise erster Klasse mit dreißig abwechslungsreichen Nummern durch fast ein Jahrhundert schwarzen Entertainments. Norbert Hess
Theater der Freien Volksbühne, Schaperstr. 24, bis 31. Dez.; Di.–So. 20 Uhr, Sa. u. So. auch 15.30 Uhr, Ticket-Hotleine: 26 55 40 90
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