■ Vorschlag: Unerwartet im schnöden Kulturamt: Linda Scheckel und Klaus Nofer
Auf der einen Seite des Raums hängt eine Collage. Vierteilig, mit wenigen akkuraten Schnitten zusammengesetzt, über vier Meter breit und einen Meter fünfzig hoch: „Schüttbilder“ – weil die in Teile zerschnittene Papierbahn mit einer teerähnlichen Flüssigkeit übergossen wurde, bevor die Arbeit mit farbigen Ölkreiden begann. Gegenüber zwei weitere großformatige Papierarbeiten – braun, nur der Teer wirkt in „festen“ und „flüssigen“ Bestandteilen. Eineinhalb Jahre haben die Arbeiten von Linda Scheckel gebraucht, um zu trocknen. Von einem Dialog zwischen den Bildern zu sprechen wäre zu wenig, der Raum wirkt, als würden Energien von Wand zu Wand fliegen. Unerwartet im schnöden Ambiente eines Kulturamtes. Im zweiten Scheckel-Raum liegen etwa fünfzig glatte, eiförmige Gipskugeln mit Ausstülpungen, wie kleine Enten, auf dem Boden. Genau diese Assoziation muß auch Herwig von Kieseritzky von der Gruppe Ex Tempore bewegt haben, als er bei der Eröffnung in den Räumen von Klaus Nofer anfing Musik zu machen: Entengeschnatter als Antwort auf die Gipsskulpturen auf der anderen Seite des Ganges. Da, wo die Enten liegen, gab es dafür Tropfengeräusche.
Material und Experiment: das ist es, was Linda Scheckel bewegt. Ihre Werke entstehen, indem unterschiedliche Materialien aufeinander reagieren. Oft setzt die Künstlerin ihre Bilder nicht nur chemischen Prozessen aus, sondern auch der Einwirkung von Regen. Die Ergebnisse haben immer etwas Einfaches und darin Erhabenes. Vor zweieinhalb Jahren ist Scheckel auf dem linken Augen nach einer Operation fast erblindet. In der Welt, die sie nun erforscht, sind die Dinge offensichtlich weicher und farbiger. „Weicher RaumIII“ heißt die Collage auch, obwohl Linda Scheckel sonst Titel vermeidet. Früher hat sie nur mit Erdfarben gearbeitet.
Klaus Nofers Arbeiten stellen nicht nur räumlich ein Gegenstück dar: Die abstrakten Bilder strotzen vor Farbe und Vitalität. Was zählt, ist der Kontrast. Fast brachial sind die rechten Winkel, Dreiecke und freien Gesten mit breitem Pinsel ins Bild gesetzt, Höhen und Breiten bis auf den letzten Zentimenter ausnutzend. Für Strukturen sorgen Farbauftrag oder Pappfetzen. Dennoch geht es um das alte Frage-und-Antwort-Spiel und um den Prozeß. Der Weg ist das Ziel und das Bild fertig, wenn es fertig ist. Cornelia Gerner
Bis 1.3., Galerie Nord, Kulturamt Tiergarten, Turmstraße 75
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