■ Vorschlag: „Wie einst im Mai“: Eine Dublinerin aus dem alten Berlin kehrt zurück
Bernelle nennt sie sich französisch, die Diseuse aus Dublin, was künstlerisch frei und sprachlich erfinderisch ist – und doch ganz handfeste biographische Verstrickungen zum Hintergrund hat. Die vielseitige Künstlerin – Chansonette, Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Übersetzerin – stammt nämlich gar nicht aus Dublin und heißt im Paß auch nicht Bernelle, sondern ist waschechte Berlinerin, Tochter von Rudolf Bernauer, dem heute – zu Unrecht – fast vergessenen ungarisch-jüdischen Bühnenimpresario und Librettisten. Berlin verdankt ihm unter anderem die Lieder „Es war in Schöneberg, im Monat Mai“ und „Untern Linden, untern Linden“. Mit erheblicher Verspätung soll der Theatermann, der vier Bühnenhäuser leitete, Alfred Strindberg und Franz Wedekind förderte und von den Faschisten in die Emigration gedrängt wurde, nun endlich mit einer Gedenktafel am Viktoria-Luise-Platz geehrt werden.
Als Dreizehnjährige ging Agnes Bernelle, noch vor ihrem Vater, nach London ins Exil. Ihre eigentliche Leidenschaft galt den großen Partien der deutschen Bühnenliteratur, während sie sich nun in zahlreichen Soloshows der kabarettistischen Kleinkunst widmete. In Dublin entdeckte sie eine Nische für sich und brachte dem irischen Publikum Brecht, Klabund, Wedekind, Alfred Lichtenstein – und natürlich die Verse ihres Vaters nahe. Ihre schlicht erzählte Lebensgeschichte läßt sich ihren unlängst bei Bollmann erschienenen Memoiren „Schöneberg – West End“ entnehmen. Bernelle, die zusammen mit Reinhard Kuhnert und dem Pianisten Peter „Professor“ O'Brien auftritt, feiert dieses Jahr ihren 75. Geburtstag. Wer sie auf der Bühne erlebt, möchte es nicht glauben.
Hans-Christian Oeser
„Wie einst im Mai“, Sonntag, 11 Uhr im Rangfoyer des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13a, Mitte
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