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■ VorlaufLeid der Normalität

„Das gute Leben ist nur eine Falle. Ein Besuch bei Binjamin Wilkomirski“, Sa., 19.20 Uhr, 3sat

Wilkomirski, Historiker, Instrumentenbauer und Klarinettist, hat seine frühe Kindheit in deutschen Konzentrationslagern verbracht. Vor zwei Jahren trug er Bruchstücke seiner Erinnerung zu einem Buch zusammen. Dieses Buch über den Lageralltag, geschrieben aus der Perspektive eines Kindes, gehört zu den erschütterndsten Zeugnissen von KZ-Überlebenden. In Deutschland kaum beachtet, ist es seit 1994 in nicht weniger als 14 Sprachen übersetzt worden.

Bergkraut hat den Autor, der auf einem ausgebauten Bauernhof in der Ostschweiz wohnt, zu Hause besucht. Es ist nicht zuletzt ein Schweizer Lieblingsthema, dem sich der Film verschrieben hat: Das Leiden an der Normalität. Als Wilkomirski nach dem Krieg zu Pflegeeltern kam, traf er auf eine Gesellschaft, die das Kindergedächtnis als Störung empfand. Die Bilder jener Züricher Villa im Grünen, die zum neuen Zuhause für das Lagerkind wurde, stehen neben verwackelten Aufnahmen von Baracken in Majdanek. Das Kind kann den Wohstand nicht als Wohltat erleben, es sehnt sich zurück nach seiner Baracke, nach dem Lagerleben, dessen Gesetze ihm vertraut sind.

Passagen aus dem Buch werden vorgelesen: „Vorsichtig blickte ich über den Rand hinab ... Was ich sah, waren winzige kleine Stäbchen, wie zerbrochen, jedes in eine andere Richtung zeigend. Aufgeregt zog ich Jankl am Arm. ,Was ist das? Jankl, schau, die Hände!‘ rief ich, und Jankl blickte lange über den Rand des Brettes. ,Knochen!‘ sagte er dann. (...) Erfrorene Finger schmerzen nicht – sie haben in der Nacht ihre Finger bis auf die Knochen abgenagt ...“

Wer das Buch von Wilkomirski gelesen hat, wird über den Film von Bergkraut wahrscheinlich enttäuscht sein. Die Neugier auf die Persönlichkeit des Autors kann der Film nicht stillen, der Filmemacher kommt Wilkomirski dafür nicht nahe genug. Seine wenigen eindrucksvollen Passagen verdankt der Film dem Buch. Dennoch ist der Film sehenswert, gibt er doch eine Ahnung davon, wie dünn die zivilisatorische Decke auch heute noch ist. Peter Walther

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