■ Vorlauf: Gepiercte Hirne
„Techno am Indischen Ozean“, ARD, 3.25 Uhr
Ein Schiff voller Raver liegt vor Sansibar. Auf der Brücke steht DJ Hooligan und reckt die Hand zum Kühnen-Gruß. Musikmachen ist im Hafen verboten, aber der Käpt'n, so sagt DJ Hooligan, der kann ihn heute mal am Arsch lecken. Schließlich läßt jeder Techno- Touri für den Trip mit Rave & Cruise fast 2.000 Mark springen: The party must also go on.
Hunderte von Ravern karren die Szene-Neckermänner Jahr für Jahr über den Globus. Mal nach Goa, mal irgendwo in ein Wüstencamp. Diesmal ging der Trip 1.200 Meilen durch den Indischen Ozean, und mit an Bord sind die Szenereporter der ARD, die Impressionen von einem Geisterschiff einfingen: gelangweilte Jugendliche in Klappstühlen, die ganz langsam realisieren, daß es so ziemlich dasselbe ist, ob man nun in einem Berliner Club im Trockeneis steht oder in der Borddisko eines afrikanischen Ausflugsdampfers. Man kann es den Ravern nicht verübeln, daß sie sich die Situation schönreden, daß aber die Reporter in die zähe Euphorie mit einstimmen, grenzt an journalistische Arbeitsverweigerung. Eisern betet der Kommentar die Floskeln von den „Techno-Jüngern“ und der „Partyfamily“ runter. Dabei wäre auf dieser mißlungenen Klassenfahrt ja durchaus Zeit gewesen, die Platte von der „Rave-Society“ mal zu wechseln; mal über den latenten Rassismus in vielen Äußerungen zu sprechen, über die antiseptische Ideologie oder auch nur über den Kontrast von Slum und Techno- Welt. Sie wollten den Kulturschock importieren und sind selber wie gelähmt.
So aber bleiben all die seltsamen Statements und Gesten im Raum stehen – die Reporter ziehen einfach weiter, wahrscheinlich, um sich in irgendeiner Kajüte das Hirn piercen zu lassen. Anders ist der glucksende Kommentar nicht erklärbar, der zwischen knappen Mitmachsprüchen („Ravers Morgengymnastik“) und halbernster Distanzierung vom Techno-Imperialismus changiert.
Die ARD tut gut daran, diese Reportage wahlweise im Kinder- und Nachtprogramm zu verstecken. Auch heute muß deshalb niemand die Disko vorzeitig verlassen.Oliver Gehrs
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