Vorgezogene Wahlen auf der Arktisinsel: Rote Sonne über Grönland
Die Regierung der Arktisinsel zerbrach am Streit um den Uran-Bergbau. Bei den Wahlen am Dienstag geht es auch um den Weg zur Selbstständigkeit.
Diskutiert wird das Projekt schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Aber zuletzt zeichnete sich im Parlament eine Mehrheit ab, die das Bergbauvorhaben genehmigen lassen will. Am Streit darüber zerbrach im Februar die Regierung des zu Dänemark gehörenden autonomen Territoriums. An diesem Dienstag finden deshalb vorgezogene Neuwahlen statt, im Wahlkampf war die Uranfrage das beherrschende Thema.
„Man kann nicht in der Nähe eines Urantagebaus leben“, sagt Mariane Paviasen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der linken Inuit Ataqatigiit, die aus den letzten Wahlen als stärkste Oppositionspartei hervorgegangen war. Paviasen lebt im südgrönländischen Narsaq. Der Ort mit seinen 1.300 EinwohnerInnen liegt nur sechs Kilometer vom Kvanefjeld entfernt, wo der Minenbetrieb geplant ist. Die Bergregion, die auf Grönländisch Kuannersuit heißt, ist Teil einer geologischen Formation, die als eine der mineralreichsten der Erde gilt.
Vor allem werden hier reiche Vorkommen an Seltenen Erden vermutet, Metalle, die man für die Elektronik in Smartphones und E-Autos, für Windkraftwerke, Solarzellen oder LED benötigt – und auch für avancierte Waffensysteme. Diese Rohstoffe waren ein wesentlicher Grund für den missglückten Vorstoß des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der Dänemark vor zwei Jahren die Insel abzukaufen versuchte. Bislang hat China quasi ein Monopol auf Seltene Erden.
Atommüll würde Trinkwasser gefährden
Neben diesen gibt es im Kvanefjeld auch reiche Uranvorkommen. Wenn man die Seltenen Erden wie geplant in einem Tagebau abbaggern würde, würde man gleichzeitig zwangsläufig auch das Uran fördern. Die chemischen Hinterlassenschaften des Produktionsprozesses sollen zusammen mit niedrig radioaktivem Abfall hinter einem künstlichen Damm in einer Seedeponie in den Bergen gelagert werden. KritikerInnen befürchten, dass das die Trinkwasserversorgung gefährdet und die hier auftretenden starken Winde zugleich radioaktiven Staub über Dutzende Kilometer verbreiten.
Für Paviasen gibt es nur eine Option: das Kvanefjeld in Ruhe zu lassen. „Wir riskieren ansonsten, in einem Land zu leben, das für nichts mehr genutzt werden kann. Wo man nicht jagen oder fischen kann, weil alles verstrahlt ist.“
Die einheimische Urani-Naamik-Opposition steht mit ihrem Widerstand nicht allein. Im Februar schlossen sich 141 Umweltorganisationen aus aller Welt einem Aufruf gegen jede Art von Urangewinnung auf Grönland an. „Grönland und die Arktis zu beschützen, ist nicht nur eine lokale, regionale oder nationale, sondern eine globale Aufgabe“, sagt Diego Marin vom European Environmental Bureau (EEB), dem größten Netzwerk europäischer Umwelt-NGOs.
Grönland brauche nun einmal die Einkünfte, die durch Ausbeutung der reichen Bodenschätze des Landes zu erzielen sind, lautet die Gegenposition, die vor allem die sozialdemokratische Siumut vertritt. Sie hat das Land seit 2018 regiert. „Wie wollen wir denn ansonsten unser Sozialsystem finanzieren“, fragte dieser Tage die stellvertretende Vorsitzende Inga Dora Markussen in einem Interview mit dem dänischen Rundfunk: „Das Kvanefjeld hat unglaubliches Potenzial: viele Arbeitsplätze, reiche Einnahmen für die Staatskasse.“
Hoffnung auf Finanzspritzen
Derzeit hängt Grönlands Haushalt noch am finanziellen Tropf Dänemarks. Ein Drittel des Staatsbudgets, umgerechnet über 500 Millionen Euro jährlich, schießt Kopenhagen zu. Siumut rechnet damit, dass allein das, was der Fiskus an Steuern und Abgaben aus dem Kvanefjeld/Kuannersuit-Projekt erhalten würde, fast der Hälfte des bislang vom Mutterland gestopften Haushaltslochs entsprechen würde.
Die GegnerInnen des Projekts stellen solche Kalkulationen infrage: Steuern zahlen Unternehmen auf Gewinne. Gerade internationale Grubenkonzerne haben sich aber den Ruf erworben, diese perfekt verstecken zu können, sodass sie allenfalls in irgendwelchen Steuerparadiesen anfallen. Sollten sich die Hoffnungen auf eine kräftige Finanzspritze für die Staatskasse tatsächlich bewahrheiten, könnte dieses Minenprojekt allerdings durchaus „ein seriöser Schritt zu ökonomischer Selbstständigkeit werden“, sagt Javier Arnaut, Dozent an Grönlands arktischer Universität Ilisimatusarfik. Ökonomische Selbstständigkeit gilt als Voraussetzung für die politische Selbstständigkeit des Landes.
Die volle Unabhängigkeit von Dänemark steht auch bei Inuit Ataqatigiit und den anderen Parlamentsparteien ganz oben auf der Prioritätenliste. Alternative oder zusätzliche Staatseinnahmen zu den jetzigen, die vor allem von Sektoren wie Fischfang und Tourismus generiert werden, würden von allen Parteien deshalb gerne gesehen. Und dabei spielt Mineraliengewinnung durchaus eine Rolle. Nicht weniger als 72 Projekte zur Förderung von Bodenschätzen – von Eisen über Zink und Edelsteinen bis zu Gold – befinden sich derzeit in verschiedenen Projektphasen.
Großen Widerstand gibt es aber, sobald es um Uran geht. Bis 2013 gab es in Grönland sogar ein gesetzliches Verbot der Urangewinnung, das damals vom Parlament mit einer Stimme Mehrheit aufgehoben wurde – um Kvanefjeld überhaupt zu ermöglichen.
Das Gebiet mit den Uranvorkommen liegt im relativ wenig besiedelten Süden des Landes. Es ist nicht nur besonders naturschön, sondern gilt auch als „Speisekammer Grönlands“. Hier wird ein Großteil der landwirtschaftlichen Produkte erzeugt und umfassende Schafzucht betrieben. Von Uranstaub belastetes Gras in den Bergen und verstrahlter Tang am Fjord könnten das Ende für die landwirtschaftliche Produktion bedeuten.
Auch Peking hat Interessen
Und es gibt noch einen Haken. Greenland Minerals, die das Kvanefjeld-Projekt betreiben will, ist juristisch zwar eine australische Gesellschaft, hinter ihr stehen aber chinesische InvestorInnen. In einer Analyse des dänischen Instituts für internationale Studien DIIS kommen dessen ExpertInnen zu dem Schluss, dass es Peking nicht nur um Seltene Erden und Uran geht, sondern um ein strategisches Interesse an Grönland.
Chinesische Unternehmen haben bereits Förderlizenzen für eine Eisen- und eine Kupfermine auf der Insel erworben. Kopenhagen musste intervenieren, um den Kauf eines Hafens und die Beteiligung an Verkehrsinfrastrukturprojekten durch chinesische Firmen zu verhindern. Dänemarks militärischer Nachrichtendienst warnte kürzlich „vor besonderen Risiken, die aufgrund der engen Verbindungen zwischen Wirtschaftsunternehmen und dem politischen System mit umfassenden Investitionen Chinas auf Grönland verbunden sind“.
Der Ausgang der Wahl zum Inatsisartut, dem grönländischen Parlament, könnte so nicht nur die Zukunft des Kvanefjeld entscheiden, sondern auch die der 57.000 BewohnerInnen der größten Insel der Erde. Siumut will laut Wahlprogramm einen Betrieb des Tagebaus genehmigen, Inuit Ataqatigiit das Projekt endgültig kippen. Nach den jüngsten Umfragen lagen die GegnerInnen vorne.
Kein Wunder, dass sich Greenland Minerals mit einer massiven PR-Kampagne, darunter ganzseitigen Zeitungsannoncen und Bannerwerbung im Internet, in den Wahlkampf eingemischt hat. „Für die steht unheimlich viel auf dem Spiel“, sagt Per Nikolaj Bukh, Ökonomieprofessor an der Universität Aalborg: Es geht um Milliardenprofite.
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