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Vorbild heutiger WhstleblowerDaniel Ellsberg ist tot

Als US-Regierungsmitarbeiter hatte Ellsberg Zugang zu Geheimdossiers über den Vietnamkrieg – und lancierte die „Pentagon Papers“. Am Freitag ist er 92-jährig gestorben.

Daniel Ellsberg bei der Cinema for Peace Gala am 11.Februar 2019 in Berlin Foto: Britta Pedersen/dpa

NEW YORK ap Der Whistleblower Daniel Ellsberg, der die „Pentagon-Papiere“ über streng geheime Details des Vietnamkrieges veröffentlichte, ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Der Ökonom und Friedensaktivist hatte im Februar bekanntgegeben, dass er unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Seine Familie teilte in einem Brief mit, dass er am Freitagmorgen (Ortszeit) gestorben sei. Der Brief wurde von einer Sprecherin der Familie, Julie Pacetti, veröffentlicht.

Ellsberg kam am 7. April 1931 in Chicago zur Welt. Er war bis Anfang der 1970er Jahre, als er Zeitungen 7000 Seiten geheimer Dokumente über Zielsetzungen und Täuschungsmanöver der US-Regierung in Indochina zuspielte, ein ranghohes Mitglied der Washingtoner Elite mit Zugang zu Regierungs- und Militärgeheimnissen. Der Harvard-Absolvent war in den 60er Jahren als Berater für Themen rund um Vietnam im privaten und öffentlichen Sektor tätig. Ellsberg gewann das Vertrauen von Mitarbeitern in US-Regierungen sowohl unter demokratischer als auch unter republikanischer Führung. Besonders geschätzt worden sei er, wie er später bemerkte, für sein „Talent für Diskretion“.

Doch wie Millionen von anderen Amerikanern nahm Ellsberg Anstoß an dem langwierigen Vietnam-Krieg – und Behauptungen der Regierung, dass sich die Schlacht gewinnen ließe und ein Sieg der Nordvietnamesen über den von den USA unterstützten Süden des Landes zur Ausbreitung des Kommunismus in der Region führen werde. „Eine ganze Generation von Vietnam-Ära-Insidern war genauso desillusioniert wie ich mit einem Krieg geworden, den sie als hoffnungslos und endlos ansahen. Bis 1969, wenn nicht früher, wollten sie alle wie ich, aus diesem Krieg heraus“, schrieb Ellsberg in seinen Memoiren von 2002.

Anders als viele andere Kriegsgegner war Ellsberg jedoch in der Position, einen Unterschied zu machen.

Seine in der New York Times ab Juni 1971 abgedruckten Enthüllungen führten zu einem erheblichen Druck der amerikanischen Öffentlichkeit, den Krieg in Vietnam zu beenden. Der damalige Präsident Richard Nixon versuchte nach drei Folgen, weitere Veröffentlichungen zu verbieten. Der Fall ging bis zum Obersten Gerichtshof der USA, der die Zensur aufhob und die Veröffentlichung erlaubte. Ellsberg stellte sein Gewissen über die Staatsräson.

Die Pentagon-Papiere waren 1967 vom damaligen US-Außenminister Robert McNamara in Auftrag gegeben worden. Sie deckten mehr als 20 Jahre ab – von der gescheiterten Kolonialisierung Indochinas in den 1940er und 1950er Jahren durch Frankreich bis zu US-Bombardements und der Entsendung Hunderttausender US-Soldaten unter Präsident Lyndon Johnson. Diese Eskalation fand verdeckt statt, wobei aus den Dokumenten hervorging, dass die USA bereits 1954 gegen eine Vereinbarung verstießen, die eine ausländische Militärpräsenz in Vietnam untersagte. Die Historikerin und Philosophin Hannah Arendt sagte, dass Misstrauen in die US-Regierung in der Vietnam-Ära habe sich von einer Glaubwürdigkeitslücke zu einem Abgrund ausgeweitet.

„Gefährlichster Mann Amerikas“

Ellsberg trug die 7000 Seiten – zusammen 47 Bände – in einem Aktenkoffer aus einem Safe in der Denkfabrik Rand Corporation, für die er tätig war, und fotokopierte sie mit Vertrauten. Neben der New York Times spielte er sie auch anderen US-Zeitungen zu. Der damalige nationale Sicherheitsberater Henry Kissinger nannte ihn „den gefährlichsten Mann Amerikas“ und Nixon wies seine später beim Watergate-Skandal berüchtigte „Klempnertruppe“ an, Ellsberg nicht davonkommen zu lassen.

„Ohne Nixons Obsession auf mich wäre er im Amt geblieben“, sagte Ellsberg 1999 in einem Interview. „Und wäre er nicht aus dem Amt entfernt worden, hätte er (Vietnam) weiter bombardiert.“

Ellsberg musste sich Strafverfahren in Boston und Los Angeles wegen Spionage und Diebstahls stellen – im Falle einer Verurteilung hätten ihm mehr als 100 Jahre Haft gedroht. Er selbst rechnete auch mit einer Gefängnisstrafe, doch blieb er letztlich verschont, was zum Teil an Nixons entfesselter Rache und den Exzessen der Entourage des damaligen Präsidenten lag. So wurde bekannt, dass Nixon Ellsberg ausspähen ließ und einem Einbruch in die Praxis des Psychiaters des Whistleblowers zugestimmt hatte. Beim Watergate-Skandal, der ein Jahr später ins Rollen kam und 1974 zum Rücktritt Nixons führte, wurden ähnliche Methoden angewandt. Am Ende platzten die Prozesse gegen Ellsberg.

In seinen späteren Jahren setzte sich Ellsberg für Meinungsfreiheit ein, war gegen den Irak-Krieg unter Präsident George W. Bush, dessen Absetzung er forderte, und gegen die US-Militäreinsätze in Afghanistan in der Amtszeit Barack Obamas. Er verteidigte Whistleblower wie Julien Assange, die Geheimdienstanalystin Chelsea Manning und Edward Snowden.

„Viele der Menschen, die mit Whistleblowern arbeiten, wissen dieselben Dinge auf gleiche Art – dass es falsch ist – aber schweigen“, sagte er der New York Times noch in diesem Jahr.

In einem Interview mit der taz im Jahr 2019 kommentierte er zu dem Fall eines Whistleblowers, der sich beim Generalinspekteur der Geheimdienste darüber beschwert hatte, dass der damalige Präsident Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski telefonisch dazu gedrängt haben soll, Ermittlungen gegen den damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und seinen Sohn aufzunehmen: „Wer diesen Präsidenten wegen seiner Fähigkeiten als Lügner und Demagoge zu beeindruckend findet, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er das Recht bricht, akzeptiert eine Autokratie.“

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7 Kommentare

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  • Von der deutschen Politik längst abgeschrieben ist Julian Assange, dem in kurzer Zeit die Abschiebung in die USA droht, weil Barbock nicht den Mut hat, gegenüber den USA die Freiheit für Assange zu fordern.

    Deutsche Medien und Verlage, Rundfunkanstalten, die eigentlich gemeinsam für die Freiheit von Assange und damit für die eigene Pressefreiheit kämpfen müssten, machen sich mit ihrem lauen bis nicht vorhandenen Engagement für die Freiheit von Assange zu einem journalistischen Bettvorleger, den die Mächtigen dieser Welt nicht mehr ernst zu nehmen brauchen, weil Selbstzensur verhindert, dass eine kritische Grenze in der Recherche bei staatlichen Missständen überschritten wird.



    Es hat eben nicht jeder den Mut und die Wahrhaftigkeit eines Daniel Elsberg, der bereit war, mit eigenem hohem Risiko für die Erhaltung der Demokratie und des Journalismus zu kämpfen.

    • @Lindenberg:

      Stimmt & was meinte der designierte Kirchenfürst - äh Kirchentagspräsi?



      Herr van Misere deMaizière - O-Ton -



      “Im April 2014 verkündete de Maizière, dass „die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der USA, Großbritanniens und Deutschlands […] unverzichtbar“ sei. Sie dürfe „nicht beschädigt werden“, auch nicht durch den Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre, welcher die massenhafte Überwachung deutscher Bürger durch die Geheimdienste untersuchen soll.[35] Im Mai 2014 bestätigte er die USA als „unseren wichtigsten Sicherheitspartner“ und bezeichnete Edward Snowden als Straftäter, der an die USA auszuliefern sei.“



      de.wikipedia.org/w...s_de_Maizi%C3%A8re

      So geht das ©️ Kurt Vonnegut - But -



      Egal wie korrupt, gierig und herzlos unsere Regierung, unsere Unternehmen, unsere Medien und unsere religiösen und wohltätigen Institutionen werden, die



      Musik wird immer noch wunderbar sein.“



      anschließe mich -

      • @Lowandorder:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an

        “"die Musik wird immer noch wunderbar sein.“



        Stalinorgel is auch ne Orgel.“

        Nun. “„Musik wird störend oft empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, wusste schon Wilhelm Busch.



        &



        Na. Hörens selbst - Stalinorgel -



        www.youtube.com/wa...&t=13s&pp=2AENkAIB

  • "Arcana imperii“

    Die Publizierung der von Daniel Ellsberg in geheimnisverräterischer Absicht entwendeten „Pentagon“-Papers gehört zu den Sternstunden NYT. Darin wird der gigantische Schwindel der US-amerikanischen Vietnam-Politik offengelegt. Heute würde den Urhebern dafür lebenslanger Knast blühen.

    Hannah Arendt nahm dies zum Aufhänger ihres berühmten Essay „Lying in Politics“, (The New York Review Of Books, 18. 11. 1971). Mit den Enthüllungen Daniel Ellsbergs, des Vaters aller Whistleblowers, habe sich die berühmte Glaubwürdigkeitslücke (credibility gap) „plötzlich in einen Abgrund verwandelt“. Die gesamte „Infrastruktur der amerikanischen Außen- und Innenpolitik“ beruhe auf einem „Flugsand unwahrer Behauptungen aller Art, von Täuschungen und Selbsttäuschungen“.

    Dabei räumte sie allerdings ein: „Geheimhaltung nämlich und Täuschung - was die Diplomaten Diskretion oder auch „arcana imperii“, die Staatsgeheimnisse, nennen -, gezielte Irreführungen und blanke Lügen als legitime Mittel zur Erreichung politischer Zwecke, kennen wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte. Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik.“

    Warum sollte das heute und auch hierzulande anders sein?

    • @Reinhardt Gutsche:

      Danke & aber auch klar!

      Entgegen einigen naiven tazlern - “Demokratie“ - stirbt der Leviathan - Regierungsform egal - nicht!

      unterm—-



      “Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiasticall and Civil (Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens) ist der Titel einer staatstheoretischen Schrift des Engländers Thomas Hobbes aus dem Jahr 1651. Sie ist eines der bedeutendsten Werke der westlichen politischen Philosophie und eine der theoretischen Grundlagen neuzeitlicher Politikwissenschaft.



      Der Titel des Werkes lehnt sich an das biblisch-mythologische Seeungeheuer Leviathan an, vor dessen Allmacht jeglicher menschliche Widerstand zuschanden werden muss. Eine ähnliche Rolle kommt in Hobbes’ absolutistischem Politikverständnis dem Staat zu, der damit zum Gegenstück des durch das Ungeheuer Behemoth personifizierten Naturzustandes wird.



      Frontispiz von Hobbes’ Leviathan. Zu sehen ist der Souverän, der über Land, Städte und deren Bewohner herrscht. Sein Körper besteht aus den Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben. In seinen Händen hält er Schwert und Krummstab, die Zeichen für weltliche und geistliche Macht. Überschrieben ist die Abbildung durch ein Zitat aus dem Buch Hiob (41,24 EU): „Keine Macht auf Erden ist mit der seinen vergleichbar“.“ Eben.



      de.wikipedia.org/w...an_(Thomas_Hobbes)

  • 8G
    80410 (Profil gelöscht)

    Mein tiefer Respekt.

  • Quel homme - Have a nice trip Daniel Ellsberg -