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Vor neuer RegierungsbildungIntegrationsminister gesucht

Migrationsforscher fordern per Online-Petition einen Wechsel in der Integrationspolitik. Von einem bestimmten Ministerium haben alle jetzt genug.

In welche Richtung soll es weiter gehen? Darüber sind sich Angela Merkel und ihre Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, noch uneinig. Bild: AP

BERLIN taz | Mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen rufen mehr als 60 Wissenschaftler und prominente Politiker zu einem Neuanfang in der Integrationspolitik auf. In einer Online-Petition, die der Berliner Rat für Migration am Dienstag lancierte, fordern sie angesichts eines derzeitigen „Kompetenzwirrwarrs“, die Aufgaben bei der Integration von Zuwanderern künftig in einem Querschnittsministerium zu bündeln.

Bisher liegt die Zuständigkeit vor allem im Innenministerium, aber auch beim Bildungs- oder dem Außenministerium. Gerade das Bundesinnenministerium aber sei mit „seiner Konzentration auf Sicherheitspolitik und Gefahrenabwehr das falsche Zentralressort“ für Zuwanderung, monieren die Wissenschaftler. Das kann man auch als direkte Kritik am aktuellen Amtsinhaber Hans-Peter Friedrich verstehen.

Integrationspolitik dürfe nicht länger als „Sozialtherapie für Menschen mit Migrationshintergrund“ verstanden, sondern müsse zu einer „teilhabeorientierten Gesellschaftspolitik für alle“ werden, heißt es in dem offenen Brief, den Heiner Geißler (CDU), Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) und Dieter Wiefelspütz (SPD) mit unterzeichnet haben.

Auch ein anderer Zusammenschluss von Wissenschaftlern, der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), plädiert dafür, das Thema Integration künftig anderswo anzusiedeln, und schlägt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor. Das wäre „ein Signal, dass Integrationspolitik immer auch Gesellschaftspolitik für alle sein muss“, sagte die Ratsvorsitzende Christine Langenfeld.

Ein eigenes Integrationsministerium im Bund lehnt der Rat aber explizit ab. Der Sachverständigenrat geht auf eine Initiative mehrerer Stiftungen zurück; neun Wissenschaftler verschiedener Disziplinen gehören dem Gremium an.

Ein Integrationsministerium ist seit Jahren immer wieder im Gespräch. Die bisherige Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU), die als Staatssekretärin im Kanzleramt Angela Merkel direkt untergeordnet ist, hat mehrfach die Schaffung eines eigenen Ministeriums gefordert. Doch bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2009 hatten sich Union und FDP darauf geeinigt, dass es kein eigenes Integrationsministerium geben solle.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland wünscht sich ein neues Ministerium, das sich um die Belange von Einwanderern kümmert. Nötig sei ein Ressort für „Teilhabe und Migration“, fordert der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat. Das Innenministerium jedenfalls sei „nicht geeignet, dieses gesellschaftlich wichtige Thema nur sicherheits- und ordnungspolitisch zu besetzen“.

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15 Kommentare

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  • HB
    Harald B.

    sören:

    Ich hoffe mal ihr Vorschlag für Herrn oder Frau Kolat ist satirisch, denn es gibt wohl keine stärkrren türkischen Lobbyisten als die beiden.Man sollte besser die Erfahrungen anderer Zuwanderungsländer (Kanada, USA etc) nutzen- dort gibt es keine "Migrationsindustrie" und es klappt besser. Warum wohl?

  • B
    Bonbon

    Es würde mich interessieren, wer diese Migrationsforscher bzw. Wissenschaftler sind. Betreiben Sie kritische Migrationsforschung oder sind sie einer zuweilen längst überholten und unsoliden Perspektive über Migration anheim geblieben?

    Der Vorschlag in das Ministerium für Arbeit und Soziales eingebettet zu werden, legt letzteres nahe. Integration über ökonomische Teilhabe ist wahrlich ein guter Punkt, aber wach werden in mir die Zitate aus Talkshow-Runden bei Anne Will: "Der Sozialschmarotzer, der kein gutes Vorbild für die Kinder sei, und somit einen Teufelskreis auslöse. Alle Migranten faul und so weiter und so fort."

     

    Ob Frau von der Leyen eine ähnliche Meinung vertritt? Sicher nicht ;)

  • S
    Sören

    Die Zuständigkeiten für Integrationspolitik in einem Ministerium zu konzentrieren ist eine gute Idee. Ich würde das Familienministerium bevorzugen, das dadurch zu einem wirklichen Gesellschaftsministerium würde. Beim Arbeitsministerium würden diese Zuständigkeiten eher zu einem Anhängsel werden, als zu einem zentralen Thema.

     

    Wichtig wäre es vor allem, das Innenministerium rauszuhalten. Ich sehe die Gefahr, dass der relativ ruhige und für CSU-Verhältnisse nachdenkliche Friedrich abgelöst und durch A. Dobrindt ersetzt wird. Dann hätten wir praktisch einen Rechtspopulisten in diesem Haus sitzen, und eine sachliche Debatte hätte sich erledigt, bevor die neue Regierung startet.

     

    MigrantInnen brauchen endlich eine Stimme im Kabinett. Ein Minister mit einem solchen Hintergrund wäre wünschenswert, aber keine Bedingung. Kandidaten wären in der Tat Kenan Kolat, seine Frau Dilek Kolat oder die Hamburger Abgeordnete Aydan Özogus.

    • G
      gerstenmeyer
      @Sören:

      sie haben in ihrer liste noch erdogan vergessen-na denn

  • Dem Ministerium für Arbeit und Soziales zuordnen? In Deutschland bekommen mittlerweile 25% aller Arbeitnehmer ein Gehalt von nicht mehr als 700 Euro netto.

     

    Der Vorschlag muss von Nazis kommen! ;-)

  • WV
    Walter Vogelweide

    Nötig sei ein Ressort für „Teilhabe und Migration“, fordert der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat.

     

    Und empfiehlt sich als Chef...

  • Man kann Integration nicht organisieren. Man kann nur hoffen, dass die tuerkischen Eltern ihre Toechter aufs Gymnasium schicken. Und nicht als Putzfrau verheizen.

    • @fritz:

      Nicht alle türkischen Mädchen und Jungs und deutsche Mädchen und Jungs gehören aufs Gymnasium. Vom eigenen (pubertären) Wollen mal abgesehen.

    • A
      augenaufFRITZ
      @fritz:

      Dazu müßten Firmen/Behörden bereit sein, Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einzustellen. Noch immer werden sie bei der Personalwahl benachteiligt.

      • @augenaufFRITZ:

        Ich bin Personalverantwortlicher. Ich versuche Diskriminierung zu vermeiden. Ich bin allerdings Ende der Achtziger mal von einer Horde Türken verprügelt worden. Zusammen mit meinem Kumpel. Die dachten, wir wären schwul, weil wir lange Haare hatten.

         

        Traurig, aber wahr: so etwas vergisst man nicht. Und ich bin kein Einzelschicksal.

         

        Türkische Frauen werden übrigens mit Kusshand genommen. Während Testosteronprotzer nur noch als Türsteher gesucht werden. Um übrigens genau vor ihren eigenen Leuten zu schützen.

         

        Danke liebe Monokulti Ideologen.

  • F
    Frage

    Warum nicht mal einen polnischstämmigen Integrationsminister?

    • @Frage:

      Ja, der letzte FDP-Chef aus Vietnam war ja auch ein Erfolgsgarant.

  • J
    Johnny

    Migrationsforscher, sind das nicht die, die in ihren Elfenbeintürmchen hocken, stets Geld verbraten aber bisher keinerlei sinnvolle Vorschläge machten, die irgendwie helfen?

     

    Wie üblich: ein bisschen Medienaufmerksamkeit will ja jeder, vor allem, wenn die Budgetverhandlungen in den UNIs anstehen.

    In Duisburg, so hört man, könnten die Migrationsexperten ihr horrendes Wissen mal anwenden. Leider sind sie offenbar alle woanders damit beschäftigt, sich Eigentumswohnungen in ethnisch reinen Vierteln zu kaufen...

  • G
    gerstenmeyer

    integrationsminister? wäre es nicht sinnvoller diese steuergelder für behinderte zu verwenden?in welchem anderen land der welt gibts noch dieses

    absurde ministerium (ausser in BW)

  • B
    Brandt

    Ein Integrationsministerium ist überflüssig. Man braucht eine neue supranationale Organisation mit regionalen Gebietskörperschaften als Mitgliedern. Institutionell sollte sie wie Europa der Regionen organisiert werden. Die Regionen brauchen einen eigenen Gerichtshof, eine Interregio Bank und eigene Steuereinkünfte aus internationalen Steuern: Finanztransaktionssteuer, Internetsteuer, Kerosinsteuer, Tourismussteuer, Körperschaftssteuer und Zölle. Diese Regionalistische Weltordnung sollte Ersatz sein für die Auswanderungs- und Einwanderungsministerien der Nationalstaaten. Die nationalstaatlichen Sonder-Ministerien werden einfach aufgelöst. Nationalstaatliche Sonder-Ministerien wurden noch nie gebraucht, weil das reine Klientelpolitik ist zugunsten von Minderheiten.