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Vor neuen Bedingungen

Erst gut in Düsseldorf, dann zum Rückspiel nach Caen: Die deutsche Fußballnationalelf der Frauen überzeugt nicht nur kämpferisch, sondern auch spielerisch. Das macht neue Perspektiven sogar auf die WM 2027 auf

Man hat „gesehen, was wir alles draufhaben, was für einen Fußball wir spielen wollen“: Matchwinnerin Klara Bühl beim Matchwinnen Foto: Leon Kuegeler/reuters

Aus Düsseldorf Frank Hellmann

Den freien Sonntag hatten sich die deutschen Fußballerinnen redlich verdient. Düsseldorf bietet auch bei windigem Herbstwetter genügend Abwechslung, um auf andere Gedanken zu kommen. Raue Bedingungen warten wieder auf sie, wenn das deutsche Nationalteam der Frauen nach dem 1:0-Hinspielsieg im Halbfinale der Nations League gegen Frankreich nach Caen übersiedelt. In der Normandie soll man sich ja warm anziehen.

Doch wie sagte Bundestrainer Christian Wück vor dem Rückspiel (Dienstag, 21.10 Uhr/ZDF): „Es wird in Frankreich eng bleiben. Wenn wir so spielen, ist mir nicht bange.“

Der 52-Jährige hatte am Freitagabend mächtig Argumente für seine bevorstehende Vertragsverlängerung gesammelt. Der Analyse des EM-Sommers könnte ein Nations-League-Herbst folgen, der als Aufbruch in spielerisch bessere Zeiten durchgeht – und damit perspektivisch für die WM 2027 in Brasilien sogar zarte Titelhoffnungen bedient. Ähnlich wie Julian Nagelsmann würde auch Wück vorher gerne die Nations League gewinnen. Die DFB-Frauen haben im Modus mit Hin- und Rückspiel deutlich besser begonnen als die Männer. Wück betonte: „Wir spielen nicht nur zur Entwicklung. Jede Fußballerin möchte Titel gewinnen.“ Also auch die Nations League.

Der schwungvolle Vortrag gegen die von der Einsatz- und Spielfreude überrumpelten Französinnen geriet zu einem Ausrufezeichen, sodass 37.191 Zuschauer irgendwann die Handylichter anknipsten. Tatsächlich kamen einige Phasen fast als fußballerische Erleuchtung daher. „Wir haben ganz viel gezeigt, was die Zuschauer begeistert hat“, lobt Wück, dem die „Art und Weise“ gefallen hatte, „wie die Mädels Fußball spielen – Betonung auf ‚spielen‘!“

Ständig den Fuß aufs Gaspedal drückten vier junge Wilde, die als Hoffnungsträgerinnen durchgehen. Was Franziska Kett als Linksverteidigerin ablieferte, kratzte bis auf einen Stellungsfehler nahe an der Weltklasse. Der FC Bayern kann sich glücklich schätzen, dass der Bundestrainer das Talent so früh förderte, der Wück an ihrem 21. Geburtstag eine „top, top, top Leistung“ bescheinigte. „Das war ein super Geburtstagsgeschenk und macht Bock auf mehr“, sagte die beste Deutsche. „Wir sind in den Köpfen der Französinnen. Sie mögen es nicht, wenn man aggressiv spielt.“ Auf der anderen Seite überzeugte Carlotta Wamser erst als Rechtsaußen, später als Rechtsverteidigerin. Wie konnte eigentlich Eintracht Frankfurt die Anlagen des 21-jährigen Energiebündels übersehen?

Den Finger für einen Stammplatz hob auch die starke Debütantin Camilla Küver, die nicht nur mit ihrer Physis verblüffte. Die 22-Jährige Innenverteidigerin vom VfL Wolfsburg habe das Vertrauen „über 97 Minuten zurückgezahlt“, lobte Wück. Und dann war da noch Jule Brand, die als neue Spielmacherin mit Intuition und Tempo gefiel. Bei der bei Olympique Lyon um einen Stammplatz kämpfenden 23-Jährigen war der Nachwuchsförderer ganz pragmatisch vorgegangen: „Sie zieht ohnehin gerne in die Mitte. Dann können wir sie auch gleich dorthin stellen.“

Klar, es kam auch bei der von Wück als beste deutsche EM-Spielerin geadelten Frankreich-Le­gio­närin nicht jeder Pass an, aber der eher zerstörerische Ansatz aus dem EM-Viertelfinaldrama in Basel, auch der Unterzahl geschuldet, verkehrte sich in Düsseldorf mit einem mutigen Ansatz ins Gegenteil. „Heute hat man gesehen, was wir alles draufhaben, was für einen Fußball wir spielen wollen“, frohlockte Matchwinnerin Klara Bühl, die an einem „Wahnsinnsabend“ mit einem strammen Schuss zum Tor des Tages traf (79.).

Ansonsten überzeugte der Abschluss den früheren Stürmer Wück am allerwenigsten. Trotz des Jubels auf den Rängen und dem Rasen sei „nicht alles rosarot“ gewesen: Die Effizienz hatte er bei der EM als Manko ausgemacht, „und wenn man danach geht, haben wir keinen großen Schritt nach vorne gemacht“. Daran änderte auch Rückkehrerin Nicole Anyomi nichts, die als neue Mittelstürmerin für die am Kreuzband verletzte Giovanna Hoffmann eine wechselhafte Vorstellung bot.

Daher ist in Nordfrankreich gegen „Les Bleues“ noch einiges zu tun. Wird der Lieblingsgegner in die Knie gezwungen, könnte zur Belohnung die Neuauflage des EM-Halbfinals warten. Vizeeuropameister Spanien überrollte nämlich Schweden im anderen Halbfinale leicht und locker mit 4:0. Bei einem deutsch-spanischen Kräftemessen um die Nations-League-Trophäe wäre es nicht unwahrscheinlich, dass Kaiserslautern für das Hinspiel am 28. November einen proppevollen Betzeberg bietet.

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