Vor der Präsidentschaftswahl in Honduras: Routinierte Empörung
Honduras' Putschisten und ihre Gegner bereiten sich auf den 29. November vor. Anhänger des gestürzten Präsidenten Zelaya rufen zum Wahlboykott auf.
TEGUCIGALPA taz | Fünf Monate nach dem Militärputsch gegen Präsident Manuel Zelaya sind Widerstand und Empörung zur Routine geworden. Bis zur Wahl am 29. November sind nur noch ein paar Tage hin, und täglich wird vor dem Parlament auf der Plaza Merced am Rand der Altstadt demonstriert. An manchen Tagen finden sich nur etwa hundert Menschen ein, dann langweilt sich ein knappes Dutzend Wachsoldaten vor dem schmucklosen Betongebäude am Rand des Platzes. Kommen aber fünfhundert Demonstranten, rückt eine Stunde vorher eine Hundertschaft Polizei an und formt einen geschlossenen Kordon. Finster blickende Männer in Kampfmontur: mit Stahlhelm, Ellbogen-, Knie- und Schienbeinschützer, Schlagstock und Schutzschild. Offenbar wissen die Sicherheitskräfte sehr gut Bescheid, wann wo wie viele Demonstranten auftauchen werden, denn sie sind immer schon vor der Opposition vor Ort.
Das Protestritual vor dem Parlament ist eingeübt, dutzendfach. Auf der einen Seite steht der Geländewagen, auf dem Dach ist eine Lautsprecheranlage festgezurrt. Die Menge wird mit revolutionären Liedern beschallt, die nach dem Putsch massenhaft entstanden sind. Hymnen im Stil der sandinistischen Revolution vor dreißig Jahren, die den Imperialismus verdammen, die Rückkehr von "Mel" Zelaya fordern und die sozialen Wohltaten seiner Gattin Xiomara Castro preisen. Fliegende Händler verkaufen selbstgebrannte CDs mit den "100 besten Hits des Widerstands". Nach einer Stunde Musik wird Juan Barahona sprechen, Koordinator der Sammelbewegung "Widerstand gegen den Staatsstreich in Honduras".
Auf der anderen Seite des Platzes stehen die Soldaten und Polizisten. Im Lauf des Vormittags löst sich ihre militärische Aufstellung in plaudernde Grüppchen auf. Zwischen den Fronten tragen kleine Mädchen ihre Bauchläden mit Süßigkeiten und einzeln verkauften Zigaretten hin und her. Polizisten und Soldaten kaufen ebenso bei ihnen wie Demonstranten. Am Ende des Platzes tobt der Verkehr auf den viel zu engen Straßen der Altstadt. Schon 50 Meter weiter ist der Protest vor dem Parlament nicht mehr zu vernehmen.
28. Juni: Ein Militärkommando verhaftet Präsident Manuel Zelaya und fliegt ihn nach Costa Rica aus. Das Parlament akzeptiert eine gefälschte Rücktrittserklärung Zelayas und bestimmt Roberto Micheletti zum Nachfolger. Oligarchie und Armee werfen Zelaya vor, er wolle aus Honduras ein zweites Venezuela machen.
21. September: Zelaya kehrt heimlich nach Honduras zurück und findet Zuflucht in der brasilianischen Botschaft. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und später die USA bemühen sich um eine Verhandlungslösung, verschiedene Abkommen scheitern. Die Putschisten versuchen, sich mit einer Verzögerungsstrategie bis zur Wahl durchzuhangeln.
29. November: Die Honduraner sollen einen neuen Präsidenten wählen. Weder Zelaya noch Micheletti kandidieren. Die Organisation der Wahl übernimmt die Armee. Die Zelaya treue Opposition ruft zum Wahlboykott auf. Die OAS will mit Ausnahme von Panama, Kolumbien und den USA das Wahlergebnis nicht anerkennen. (tk)
Soldaten sieht man in Tegucigalpa derzeit nur vor dem Parlament - und rund um die brasilianische Botschaft, die in einem der besseren Wohnviertel nicht weit entfernt liegt. Hier hat der gestürzte Präsident Zelaya, der im Morgengrauen des 28. Juni von der Armee mit Waffengewalt außer Landes geschafft worden war, seit seiner heimlichen Rückkehr am 21. September Zuflucht gefunden. Das Gebäude ist weiträumig abgeriegelt: Maschendrahtzäune sind quer über die Straßen gespannt, davor Panzersperren aus Betonklötzen, dahinter Soldaten, die nicht so lässig wirken wie ihre Kollegen am Parlament: Den Stahlhelm setzen sie auch für ein Päuschen nicht ab, der Finger ruht stets am Abzug des Sturmgewehrs.
Ansonsten kann man kaum glauben, dass hier vor ein paar Monaten ein Putsch stattgefunden hat. Die Regierung unter De-facto-Präsident Roberto Micheletti scheint sich in Sicherheit zu wiegen. Zelaya hat mittlerweile auf eine Wiedereinsetzung ins Präsidentenamt bis zur Wahl verzichtet. Seine Anhänger vor dem Parlament lässt man gewähren, obwohl sie Dinge sagen und tun, die in diesen Tagen in Honduras verboten sind. "Niemand wird am 29. November wählen gehen", schreit Juan Barahona ins Mikrofon. "Wir haben bei dieser Wahl keine Kandidaten." Die Menge vor ihm streckt die Hände nach oben. Die Kuppe des kleinen Fingers ist mit schwarzer Tinte markiert - so wie am 29. November ein Finger der Wähler von den Wahlaufsehern zum Zeichen der vollzogenen Stimmabgabe gekennzeichnet werden wird. Doch auf der Handfläche der Demonstranten steht ein großes "No". Wären sie nicht viele und nicht im Zentrum der Stadt, würde man sie wohl verhaften. Aufruf zum Wahlboykott steht unter Strafe. Dem Priester Andrés Tamayo, einem gebürtigen Salvadorianer, der seit über zwanzig Jahren in Honduras lebte und längst eingebürgert war, ist wegen eines Boykottaufrufs die Staatsbürgerschaft entzogen worden. Der Geistliche hatte Zelaya in der brasilianischen Botschaft betreut. Zehn Tage vor der Wahl wurde er abgeschoben.
"Wir müssen auf eine andere Wahl warten", sagt Barahona vor dem Parlament. Er wirbt für eine verfassunggebende Versammlung, die die Grundlage dafür schaffen soll, "dass wir die Macht übernehmen". Zelaya hatte am Tag seines Sturzes eine Volksabstimmung über eine mögliche Einberufung einer solchen Versammlung durchführen lassen wollen. Das Oberste Gericht befand, diese Befragung sei verfassungswidrig, und so beschlossen Richter, rechte Politiker und Militärs, den Präsidenten zu stürzen. Wer heute eine verfassunggebende Versammlung fordert, begeht ein Delikt. Zwei Wochen vor der Wahl wurden sieben Helfer der kleinen linken Oppositionspartei Unificación Democrática (UD) verhaftet, weil sie in einem Lastwagen 5.000 T-Shirts transportiert hatten, auf denen als Wahlslogan gedruckt stand: "Auf zu einer verfassunggebenden Versammlung!"
Der Opposition nahe stehende Medien, die solche Verhaftungen kritisieren könnten, gibt es derzeit in Honduras nicht. Der putschistenkritische Fernsehsender Canal 36 wurde Ende Juli von der Armee gestürmt und ist noch immer nicht wieder auf Sendung. Das am gleichen Tag gewaltsam geschlossene Radio Globovisión sendet zwar wieder, aber nur ein braves Programm.
Alle anderen Medien, egal ob Fernsehen, Radio oder Printmedien, feiern die Putschisten als wahre Demokraten. Zelaya ist für sie der Teufel oder im besten Fall ein Tölpel, der von Hugo Chávez in Venezuela und Fidel Castro in Kuba ferngesteuert wird. Jedenfalls gilt er als eine Figur der Vergangenheit. Über die Zukunft aber werde am 29. November entschieden bei der von den Militärs beaufsichtigten Wahl, bei der weder Zelaya noch Micheletti antreten. Ein unabhängiger Bewerber ums Präsidentenamt, über 50 Kandidaten fürs Parlament und über 100 Bewerber um einen Bürgermeisterposten haben im Übrigen ihre Kandidatur zurückgezogen. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten ums höchste Staatsamt - Porfirio Lobo von der Nationalen und Elvin Santos von der Liberalen Partei, beide sind Sympathisanten der Putschisten - tun so, als sei dieser Urnengang das Normalste von der Welt.
Er ist es nicht. Wer nur einmal einen Wahlkampf in Zentralamerika erlebt hat, weiß, dass das, was sich in Honduras abspielt, etwas ganz anderes ist. Üblicherweise gehen der Stimmabgabe Massenspektakel voraus, Städte und Dörfer werden mit Plakaten zugepflastert, und es gibt keinen Laternenpfahl, der nicht mit der Farbe einer Partei angepinselt wäre. In Tegucigalpa jedoch muss man lange suchen, um auch nur ein kleines Wahlplakat zu finden. Die Graffiti haben alle nur den Putsch zum Thema. Wahlkampf findet fast ausschließlich in den rechten Medien statt. Als ob es den Politikern peinlich wäre, leibhaftig vor das Volk zu treten.
Oder sie haben Angst. In den vergangenen Tagen gab es eine Reihe kleiner, aber letztlich harmloser Attentate. Einige Granaten sind vor den Häusern rechter Medien, vor Elekrizitätswerken, Telefongesellschaften und vor Einkaufszentren der Reichen explodiert. Niemand wurde verletzt, der Schaden war wenn überhaupt gering. Höhepunkt war eine russische Panzerfaust, die nachts auf ein Depot mit Wahlunterlagen abgefeuert wurde. Das frei stehende große Gebäude ist eigentlich nicht zu verfehlen. Trotzdem explodierte der Sprengkörper 200 Meter abseits auf einer Wiese. Sollten das bloß Warnschüsse sein?
"Unmöglich, dass einer von uns hinter diesen Attentaten steckt", sagt Gilberto Ríos vom Koordinationsgremium des Widerstands. Er vermutet, dass die Militärs selbst diese Anschläge inszenieren. "Die Täter versuchen, sich als Opfer darzustellen." Sie bräuchten einen Vorwand für Repression. Für die Tage rund um die Wahl wurden 5.500 Reservisten einberufen, um die 12.000 Soldaten und 14.000 Polizisten des Landes zu verstärken. 530 Staatsanwälte stehen bereit, um Delikte gegen die Wahlordnung der Putschisten sofort zu ahnden.
Vor dem Parlament in Tegucigalpa ruft Juan Barahona zum friedlichen Widerstand auf. Gilberto Ríos will trotzdem nicht ausschließen, dass es am 29. November zu Gewalttaten kommt. "Es gibt Hitzköpfe auf beiden Seiten." Die Redner, die nach Barahona sprechen, erklären deutlicher, was sie mit Wahlboykott meinen: "Niemand wird am 29. November wählen! Geht auf die Straße, haltet sie auf! Baut Barrikaden, zündet Autoreifen an!" Und schließlich: "Wenn Blut fließen muss, dann soll es fließen. Es wird auf fruchtbare Erde treffen." Schwer zu sagen, ob das nur revolutionäre Rhetorik ist oder bitterer Ernst.
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