Vor den Wahlen in Frankreich: Nicht für Le Pen, nicht für Macron
Mit ihrem Protesten hat die Gelbwestenbewegung die Staatsmacht erzittern lassen. Wie aber wählen sie? Eines ist relativ klar: extrem.
Die Zeit scheint hier seit mindestens drei Jahren stehen geblieben zu sein. Lkw-Fahrer und Automobilisten winken oder hupen als Zeichen der Solidarität mit den auf Campingstühlen sitzenden und diskutierenden Menschen. Ihre Wut auf Präsident Emmanuel Macron und über die als zu niedrig empfundene Kaufkraft hat gerade wieder neue Nahrung bekommen, die Benzin- und Dieselpreise sind massiv gestiegen. Das drückt sich auch auf den Schildern und Anti-Macron-Plakaten aus, die am Fahrbahnrand stehen.
Wer hier protestiert, fühlt sich durch die von Macron personifizierte Elite in Paris „verachtet“ wie eh und je. Jeder und jede hat zudem meist auch noch persönliche Motive, um gegen die Staatsmacht aufgebracht zu sein: eine sehr kleine Alters- oder Invaliditätsrente, Arbeitslosigkeit, hohe Mobilitätskosten.
„Null Prozent!“, antwortet lachend Michel Audidier auf die Frage, wie viele Stimmen der Kandidat Macron wohl hier bekommen werde. Und nein, dafür werde das Kreuzchen nicht bei der extremen Rechte gemacht. „Diese Leute sind zu Beginn aufgetaucht, natürlich haben sie versucht, uns zu instrumentalisieren. Aber als sie gemerkt haben, dass es hier nichts zu holen gibt, sind sie rasch verschwunden“, erzählt der 66-jährige Rentner, der früher kaufmännischer Angestellter war. Er war von Anfang an bei den Demonstrationen in der Provinz und in Paris dabei. Schwer enttäuscht hat ihn, dass die Gewerkschaften die Gelbwesten nicht unterstützt haben.
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Von seinen Mitstreiter*innen in Allonne sagt er: „Sie stehen politisch nicht wirklich links, aber von den etwa 30 werden jetzt 20 für das Programm Avenir commun von Jean-Luc Mélenchon stimmen. Nicht für den Kandidaten, sondern für sein Programm, weil darin eine ganze Reihe unserer Forderungen aufgenommen ist, was bei den anderen nicht der Fall ist.“
Mit einem Dutzend anderer aus der Gegend von Beauvais ist er darum am 20. März zu Mélenchons Wahlkundgebung auf dem République-Platz gekommen. Für seine Gruppe komme es nicht infrage, dass wie schon 2017 nur noch zwischen Macron und Le Pen gewählt werden könne. „Weder Pest noch Cholera“ lautet darum die Überschrift eines kleinen Manifests, das sie dazu verfasst haben. Mélenchon erscheint ihnen als die einzige „nützliche Wahl“.
Mélenchon hat 2017 die Bewegung La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) gegründet. Er tritt nun schon zum zweiten Mal zu Präsidentschaftswahlen an. In seinen Reden fordert er, die Abstimmung in ein „Referendum“ über die Sozialpolitik und ein Plebiszit gegen Macron zu verwandeln. Wer (wie er) für das Renteneintrittsalter von 60 Jahren – und nicht erst 65 (wie dies Macron und die Rechte vorschlagen) – und staatlich festgelegte Preise für Treibstoff und Grundnahrungsmittel sei, solle dies mit dem Wahlzettel kundtun.
An die Gelbwesten gerichtet verspricht er zudem eine „Amnestie“ für alle, die während der Demonstrationen wegen Sachbeschädigung oder Gewalt gegen Polizeibeamte verurteilt wurden. So weit geht nicht einmal Marine Le Pen. Trotz anfänglicher Sympathien für die Gelbwesten unterstützt sie die Repression.
Die Parolen von den „Rond-points“ hallen inzwischen bis in den Élysée. Die maßlos gestiegenen Preise für Erdölprodukte und die Inflation werden auch dort als massives Problem gesehen. Macrons Regierung hat eine Senkung der Benzin- und Dieselpreise um 18 Cent an der Tankstelle ab 1. April angekündigt. Der Präsident befürchtet, dass die Gelbwesten oder eine ähnliche Bewegung ihn erneut vor Probleme stellen könnten.
Damit rechnet auch der Politologe Christian Le Bart vom Institut d’études politiques in Rennes. Er schreibt jüngst in seiner Studie „Petite sociologie des gilets jaunes“ (Kleine Soziologie der Gilets jaunes): „Das Problem der Kaufkraft ist bei Weitem nicht gelöst. Mit denselben oder anderen Leuten kann das neu losgehen. Die Gilets jaunes haben in der öffentlichen Meinung einen starken Eindruck hinterlassen, der trotz der gewaltsamen Ausschreitungen ziemlich positiv geblieben ist.“
Christian Le Bart, Politologe
„Hunderte wurden zu Haftstrafen verurteilt, Hunderte wurden verletzt. All das für nichts? Politisch hat sich gar nichts geändert, das System ist bloß noch schlimmer als vorher“, meint der Kleinunternehmer Fabrice Grimal in „Une année en jaune“ (Ein Jahr in Gelb), seiner Bilanz als einer der Anführer der Gilets jaunes. Er wollte selbst bei den Präsidentschaftswahlen antreten, scheiterte aber daran, die für die Kandidatur erforderlichen 500 Unterschriften von gewählten Volksvertreter*innen zusammenzubekommen.
Grimal steht für den Teil der Gelbwesten, die den Protest auch gegen die staatlichen Anti-Corona-Restriktionen ausgeweitet haben und gegen Gesundheitspass wie die Impfpflicht für das Gesundheitspersonal demonstrierten.
Nicht nur ideologische Impfgegner, auch die rechtsextreme Partei Les Patriotes versuchten, die Kundgebungen zu vereinnahmen, zum Teil erfolgreich. Jacline Mouraud, die sich zu Beginn der Gelbwesten-Proteste in den Medien als Repräsentantin vordrängte, dann aber schnell isoliert wurde, tritt heute als Rednerin auf den Wahlveranstaltungen des rechtsradikalen Kandidaten Eric Zemmour auf.
Geblieben ist bei den „Ehemaligen“ und den weiterhin wie in Allonne Demonstrierenden ein tief sitzendes Ressentiment gegen Macron, aber auch die Erfahrung, dass sich die so selbstherrlich wirkende Staatsmacht erschüttern lässt. „Das hat diese Leute, die anfänglich nicht politisiert waren, verändert. […] Ich weiß nicht, ob das morgen wieder losgeht oder wer die Führung dann übernimmt. Doch der harte Kern existiert, wir sind organisiert, ohne Chefs, aber doch organisiert“, sagt Grimal und prophezeit: „Die Revolution beginnt mit einer Dosis an Spontaneität.“
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