Vor dem Grünen-Landesparteitag: "Wir haben was richtig gemacht"
Die Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener sehen keine Polarisierung in haltlichen Fragen - trotz aller bisherigen Streitigkeiten.
taz: Frau Jarasch, "der große Graben" lautete die Überschrift des taz-Berichts über den letzten Parteitag der Grünen: Es ging um heftige Vorwürfe und laute Wortgefechte. Bekommen Sie beim nächsten am Samstag diesen Graben zugeschüttet?
Bettina Jarasch: Zum Teil. Wir sind große Schritte weiter gekommen. Was sich da beim vergangenen Mal Luft gemacht hatte, war ja auch einfach noch sehr viel Enttäuschung über die nicht erfüllten Erwartungen nach der Abgeordnetenhauswahl. Inzwischen sind wir in einer ganz anderen Situation: Die neue Regierung ist im Amt, die Fraktion hat angefangen zu arbeiten. Die Partei - das merkt man vor allem, seit das neue Jahr begonnen hat - will loslegen und die Aufgabe als Oppositionsführerin ausfüllen.
Also ist der Graben schon weg, Herr Wesener?
Daniel Wesener: Wir hatten immer den Eindruck, dass es den von der taz beschriebenen großen Graben so in der Partei gar nicht gibt, sondern dass wir es mit einem Konflikt innerhalb der Fraktion zu tun haben. Der Parteitag ist eine gute Chance, nach vorne zu blicken und zu sagen, was wir vorhaben.
Ein Graben nur in der Fraktion und nicht in der Partei? Was ist es denn dann, wenn sich beim vergangenen Parteitag Leute anbrüllten und gegenseitig aufs Heftigste kritisierten?
Jarasch: Durch die Art, wie wir diese Auseinandersetzung geführt haben, sind ein paar Dinge ins Rutschen gekommen, die selbstverständlich sein sollten.
Bettina Jarasch
Die 43-Jährige gehört dem grünen Landesvorstand seit 2009 an, seit März 2011 ist sie Vorsitzende. Sie wird dem realpolitischen Parteiflügel zugeordnet und ist Gemeinderatschefin einer katholischen Gemeinde in Kreuzberg.
Daniel Wesener
Der 36-Jährige kommt aus dem grün regierten Friedrichshain-Kreuzberg, wo die Parteilinken dominieren. Dort war er Fraktionschef und arbeitete für Bundestagsmitglied Ströbele. Landeschef ist er wie Jarasch seit März 2011.
Grüner Zoff
Der Streit bei den Grünen brach nach den geplatzten Koalitionsverhandlungen im Oktober auf. Der linke Flügel in der 29-köpfigen Fraktion hatte die Wahlergebnisse zum Vorstand nicht akzeptiert und eigenständiges Auftreten angekündigt. Am 15. November trat Fraktionschef Ratzmann zurück, tags darauf kam es zum Schlagabtausch bei einem kleinen Parteitag, bei dem mit gut 300 Besuchern ähnlich viel Andrang wie bei einem großen Parteitag herrschte, wie er am Samstag ansteht.
Da spielen ja auch persönliche Attacken eine große Rolle.
Jarasch: Wir haben Flügel, es gibt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, es gibt zum Teil ein unterschiedliches Selbstverständnis - aber keine zwei einander gegenüber stehenden Politikentwürfe. Deshalb haben wir im Leitantrag versucht zu beschreiben, was die gemeinsame Grundlage ist.
Der kommende Parteitag, so die Erwartungen noch im November, sollte eigentlich der große Showdown werden: Mit der Klärung aller offener Fragen, von der Verortung links, Mitte, bürgerlich bis hin zum Thema Gewaltmonopol der Polizei. Wenn ich Sie so höre sieht es nicht so aus, als ob Sie den Parteitag auch so sehen.
Wesener: Nein, das sehen wir tatsächlich nicht so. Und auch die Partei will keinen Showdown, aber sehr wohl eine Klärung. Persönliche Auseinandersetzungen, die es in der Fraktion gegeben hat, dürfen die für uns relevanten Fragen nicht überlagern: Wie geht es weiter mit dem Klimaschutz, wo der Senat offensichtlich nichts macht? Wie schaffen wir es, dass diese Stadt nicht weiter sozial auseinanderdriftet? Wie schaffen wir eine moderne Infrastruktur, deren Kern nicht darin besteht, ein paar Kilometer Autobahn zu bauen?
Das klingt alles so wie: Genug der Analyse, es ist alles geklärt, jetzt mal weiter und nach vorn blicken. Rednerinnen wie Exparteichefin Irma Franke-Dressler, die das beim vergangenen Parteitag so formulierten, sind schier ausgebuht und kritisiert worden, sie wollten etwas zukleistern.
Jarasch: Aber inzwischen sind wir zwei Monate weiter. Wir haben ja eine sehr selbstkritische Wahlauswertung vorgenommen - wir hatten zu wenig zugespitzte Konzepte, die so grün und eigenständig waren, dass die Leute uns dafür gewählt haben. Der Blick wendete sich in den letzten Wochen nach vorn, in der Partei wie in der Stadt. Da kommt die klare Botschaft: Ihr habt Euch jetzt genug zerfleischt, jetzt arbeitet mal wieder.
Jüngst bei einer Parteiversammlung haben Sie, Herr Wesener, gesagt: Es sei nicht Aufgabe der Partei, sich mit den Vorgängen in der Fraktion zu beschäftigen. Aber wer sollte es denn sonst tun, wenn nicht die Partei, deren parlamentarischer Arm diese Fraktion ist?
Wesener: Gemeint war damit: Wir werden den Konflikt als Partei nicht in unserem Leitantrag auflösen oder ungeschehen machen. Wir können nur definieren, auf welcher Grundlage die Fraktion Politik machen soll und wie wir aus unseren Fehlern lernen. Wir wollen im Leitantrag deutlich machen, was die Schwerpunkte unserer Politik sind.
Dirk Behrendt, Leitfigur der Parteilinken, hat jüngst zu Ihrem Papier gesagt: Wir werden den Streit nicht lösen, indem wir ihn gar nicht mehr erwähnen.
Jarasch: Natürlich kann man den ganzen Leitantrag auch vor dem Hintergrund der Vorgänge in der Fraktion lesen. Vor diesem Hintergrund bekräftigen wir Dinge, die für alle selbstverständlich sein sollten, etwa, dass demokratische Wahlen anerkannt sein müssen.
Da steht auch etwas vom Kurs der Eigenständigkeit drin - das definiert doch jeder Parteiflügel anders.
Wesener: Wir müssen anhand der Inhalte definieren, was grüne Programmatik ist und wo sie mit wem anschlussfähig ist. Eine Diskussion, welcher der beiden Regierungsparteien wir vermeintlich näher stehen oder nicht, finden wir unproduktiv. Es geht darum, Rot-Schwarz herauszufordern und zu zeigen, was man anders und besser machen will. Dazu haben wir im Leitantrag zwei Debattenfelder herausgearbeitet: Wir wollen unser soziales und ökologisches Profil schärfen und mit einem Green New Deal für Berlin aufzeigen, wie nachhaltiges Wirtschaften geht.
Das sieht so aus, als ob sie bewusst Themen nennen, hinter denen sich tatsächlich alle wie um ein über allen wehendes Banner sammeln können, egal ob sie nun links oder bürgerlich oder nichts sind. Widerstreitende Meinungen nennen Sie "Pluralismus, den wir produktiv nutzen wollen".
Wesener: Wir versuchen, die Konflikte, die Sie beschreiben, positiv zu wenden.
Die Reaktionen sind aber nicht so versöhnlich. Die sich gegenüber stehenden Kreisverbände Kreuzberg und Zehlendorf wollen am Samstag Dinge in den Leitantrag reinschreiben, der die jeweils andere Seite nie zustimmen würde. Da ist nichts mit: jetzt gemeinsam weiter.
Jarasch: Natürlich gibt es bei uns verschiedene Positionen. Aber das sind doch genau die Auseinandersetzungen, die wir führen wollen. Das wird uns nicht zerreißen.
Wesener: Zumal die extreme Polarisierung in den inhaltlichen Debatten gar nicht zum Tragen kommt.
Es ist doch schon fundamental, wenn die einen die Partei eindeutig als "Mitte links" festschreiben wollen, die anderen aber gar kein linkes oder anderes Etikett haben wollen.
Wesener: Die Debatten, die Sie jetzt so betonen, die interessieren die Stadt und die meisten Berlinerinnen und Berliner doch gar nicht. Die Erwartungshaltung ist, dass sich Partei und Fraktion mit den Problemen in der Stadt und nicht mit sich selber beschäftigen. Mit unserem Antrag heben wir die Debatte auf die inhaltliche Ebene.
Aber für ein solches Anheben muss doch die Basis stabil sein. In einer Kreuzberger Grünen-Versammlung hat jemand festgestellt: Wenn es keine strategische Klärung gebe, "dann kann da nur Murks rauskommen".
Jarasch: Wir haben doch klare strategische Aussagen - wie wir mit Rot-Schwarz umgehen oder dass wir keine Nischenpartei sind. Falls irgend jemand noch daran festhalten möchte, sagt dieser Leitantrag etwas anderes. Darüber können wir beim Parteitag auch abstimmen. Was ich nicht mehr erleben möchte, ist, dass die Leute, die Kontakt zur IHK haben und die, die Kontakt zum Mieterbund haben, das gegeneinander ausspielen.
Wesener: Das sollte auch eine Selbstverständlichkeit sein.
Herr Wesener, wie kriegen Sie das hin, als Landeschef für einen Leitantrag zu stehen, zu dem die meisten Gegenanträge aus dem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg kommen, in dem Sie noch vor kurzem eine führende Figur waren?
Wesener: Ihre Wahrnehmung ist falsch. Wenn ich mir die Änderungsanträge angucke, kommen die von ganz verschiedenen Exponenten. Bettina Jarasch und ich haben die Erfahrung gemacht, dass es Kritik an diesem Leitantrag sowohl von linker wie von realpolitischer Seite gab. Wir ziehen daraus den Schluss, dass wir was richtig gemacht haben.
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