Vor Niederlage in Brüssel: Nährwert-Ampel kommt wohl nicht
Gesundheitsausschuss des EU-Parlaments wird wohl gegen Kennzeichnung in Ampelfarben stimmen. Stattdessen soll die Kalorienzahl angegeben werden.
BERLIN taz | Den Befürwortern einer verpflichtenden Nährwertkennzeichung mit Ampelfarben droht am Dienstag eine herbe Niederlage im EU-Parlament. Selbst Ampelverteidiger Matthias Wolfschmidt, Vizechef der Verbraucherorganisation Foodwatch, sagte am Montag der taz, dass die Mehrheit der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im federführenden Gesundheitsausschuss "wohl gegen die Pro-Ampel-Anträge stimmen" werde. Er hofft nun, dass der Ministerrat später eine Öffnungsklausel durchsetzt. Dann könnten EU-Länder auf ihrem Gebiet die Ampel vorschreiben.
Foodwatch fordert, den Gehalt wichtiger Nährstoffe wie Fett, Zucker und Salz farbig zu kennzeichnen. Viel Zucker zum Beispiel bekäme ein Rot. Die Verbraucherschützer versprechen sich davon, dass etwa Übergewichtige ihre Lebensmittel gesünder auswählen. Die Industrie plädiert für das GDA-Modell: Hier zeigen einfarbige Zahlen, wie viel Prozent der empfohlenen Tagesration des jeweiligen Nährstoffs eine Portion liefert.
Doch die EVP, in der auch die deutsche CDU vertreten ist, will auf der Verpackungsvorderseite nur einen Wert vorschreiben: die Zahl der Kalorien. Auf der Rückseite soll dann unter anderem stehen, wie viel Fett oder Zucker enthalten ist. Nationale Alleingänge wären verboten. Natürlich könnten die Hersteller weiter freiwillig ihre GDA-Grafiken auf die Packungen drucken.
Coca-Cola, Nestlé und sieben weitere Konzerne begrüßten diesen Vorschlag am Montag. Die Grenzwerte für die grünen, gelben und roten Markierungen seien "nicht wissenschaftlich fundiert". Die Firmen räumten aber ein, dass es bei den bisherigen Portionsgrößen der GDA-Kennzeichnung noch "Optimierungsbedarf" gebe.
Verbraucherschützer bezweifeln, dass sich überhaupt realistische Portionsgrößen angeben lassen - schließlich variieren diese je nach Geschlecht, Körpergröße und sogar Nationalität erheblich. Foodwatch-Experte Wolfschmidt ergänzte, dass Wissenschaftler der britischen Lebensmittelbehörde FSA Grenzwerte für die verschiedenen Ampelfarben ermittelt hätten. Rot sei demnach fällig, wenn 100 Gramm des Nahrungsmittels mindestens 25 Prozent der empfohlenen täglichen Dosis des Nährwerts enthalten. Den Vorwurf, dass es die Verbraucher nur verwirren würde, wenn ein Müsli einen roten Punkt für viel Zucker, aber zwei grüne für wenig Salz und Fett bekommt, wies Wolfschmidt zurück. "Dann wählt der Konsument eben nach den wenigsten roten Punkten aus."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?