Filmfestspiele: Vor Ethikern sei gewarnt
Lidokino 4: Luca Guadagnino zeigt bei den Filmfestspielen die Uni als Sodom und Gomorrha. Julia Roberts spielt eine Adorno lesende Philosophin.

W ie wäre es wohl, Julia Roberts als Philosophieprofessorin zu haben? Nun, nach diesem Film würde man sich das womöglich noch einmal gut überlegen. In „After the Hunt“ von Luca Guadagnino, der bei den Filmfestspielen von Venedig außer Konkurrenz zu sehen ist, spielt Roberts wohlgemerkt nicht sich selbst, sondern die Yale-Professorin Alma Imhoff, die in ihren Veranstaltungen Foucault, Kierkegaard oder auch Adorno lesen lässt. Doch diese Ethik-Spezialistin hat es in recht unterschiedlichen Hinsichten in sich.
Imhoff gehört zu dem Teil des Lehrpersonals, der noch keine feste Stellung, keine Tenure hat. Wie der mit ihr befreundete Kollege Hank Gibson (Andrew Garfield) hofft sie, bald schon unbefristet lehren zu können. Eine Konkurrenz zwischen ihr und Hank ist vorhanden, ebenso eine deutliche Zuneigung, die Almas Ehemann Frederik (Michael Stuhlbarg) keinesfalls verborgen bleibt.
Der Psychiater nimmt die libidinöse Freizügigkeit seiner Frau aber einigermaßen gelassen. Etwas unklarer liegen die Dinge bei Maggie (Ayo Edebiri), einer Doktorandin Almas. Maggie ist lesbisch, und Gerüchte wollen etwas von einer größeren Nähe ebenfalls zwischen ihnen wissen. Was Alma bestreitet.
Nur vermeintlich harmlos
„After the Hunt“ ist, wie das Milieu dieser Geschichte nahelegt, ein Film, in dem die Dialoge dominieren. Da ist etwa das vermeintlich harmlose Akademikergeplänkel, da sind ebenso die zärtlichen Neckereien Frederiks gegenüber Alma, bei denen immer ein leicht bitterer Ton durchschwingt. Die eigentliche Spannung gewinnt der Film hingegen aus den ungesagten Dingen, die sich zu unterstellten Dingen und daraus zu öffentlichen Anschuldigungen fortspinnen, die schon bald das Geschehen bestimmen.
Denn in die freundliche Eliteuni-Schlangengrube platzt der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs durch Hank auf Maggie. Zunächst sucht die verstörte Maggie eines Abends Alma auf, um ihr von der erlittenen Gewalt zu berichten. Doch Alma reagiert lediglich zurückhaltend und distanziert.
Von da an verknotet Guadagnino nach und nach immer mehr Personen in seinen Reigen von Figuren, deren Motive über lange Zeit unklar bleiben. Besonders im Fall von Alma. Julia Roberts vermag als Akademikerin vielleicht nicht vollends zu überzeugen, dafür allerdings als Frau, die wenig von sich preisgibt und auf Versuche, ihr Geheimnisse zu entlocken, mit harscher Ablehnung reagiert. Das muss auch Maggie, von Edebiri mindestens ebenbürtig ambivalent verkörpert, irgendwann zu spüren bekommen.
Lektion in Sachen Zuneigung
Guadagnino hat „After the Hunt“ am Ende eine Spur zu verschachtelt angelegt, um sein Drama so zur Geltung zu bringen, dass man sich auf sein Personal ganz und gar einlässt. Doch vermutlich war es seine bewusste Absicht, falsche oder verwirrende Spuren zu legen und die Figuren zugleich etwas auf Abstand zum Publikum zu halten. Auf optisch markante Ideen wie die frei fliegenden Tennisbälle in seinem Sportlerdrama „Challengers“ verzichtet er diesmal übrigens.
Dafür hat sein Film, aller Konfusion zum Trotz, durchaus eine Botschaft. Sie richtet sich weniger gegen die Vertreter von Philosophie, die mit ihren eigenen Leben den Ansprüchen ihres Fachs nicht unbedingt gerecht werden. Guadagnino erteilt stattdessen eher eine abgründige Lektion in Sachen Zuneigung: Manche Menschen wollen das Objekt ihrer Liebe, wenn sie es nicht für sich haben können, anscheinend lieber zerstören. Manchmal gelingt ihnen das.
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