Von wegen gleiches Recht für alle: Ganz legale Übergriffe
Was bei normalen BürgerInnen Körperverletzung, Folter oder unterlassene Hilfeleistung wäre, ist bei der Polizei manchmal erwünschtes Tun.

Moralisch möglicherweise verwerflich aber nicht unbedingt zu ahnden: Polizisten attackieren Punk. Bild: dpa
BREMEN taz | Menschen erleiden unter den Händen von PolizistInnen Demütigungen, Verletzungen – und manche sterben. Nicht immer ist, was da geschieht, im juristischen Sinn unverhältnismäßig oder gar illegal. Auch nicht bei dem aus Sierra Leone stammenden Laye Condé, der Anfang 2005 in Bremen an den Folgen einer unter Zwang durchgeführten Brechmittelvergabe starb. Niemand hat etwas falsch gemacht – so sah es zumindest das Landgericht Bremen. Was für ganz normale Bürger moralisch verwerflich ist und juristisch zu ahnden, ist es nicht auch für die Polizei.
Die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln zum Zwecke der „Beweissicherung“ – dem Erbrechen angeblich verschluckter Drogenkügelchen – war von 1992 bis 2005 erlaubte und gängige Praxis in der Bremer Polizeiarbeit. Auch in Hamburg bekamen mutmaßliche Drogenhändler, die sich weigerten, ein Brechmittel zu schlucken, von 2001 bis 2006 eine Nasensonde eingeführt. Darüber flößte ein Polizeiarzt dem meist fixierten Festgenommenen Wasser und das Brechmittel Ipecacuanha ein.
In Hamburg starb nach einer solchen „Behandlung“ der Afrikaner Achidi John im Krankenhaus an Herzstillstand – der Senat hielt an der Praxis fest. Und in Bremen sagte der damalige Innensenator Thomas Röwekamp (CDU): „Schwerstkriminelle müssen mit körperlichen Nachteilen rechnen.“ Da lag der weder vorbestrafte noch verurteilte Condé bereits im Koma, aus dem er nicht wieder erwachte.
Beide Fälle gingen vor Gericht. Das Hamburger Verfahren wurde eingestellt, in Bremen endeten zwei Prozesse mit Freisprüchen für den angeklagten Polizeiarzt. Beide hob der Bundesgerichtshof wieder auf, den letzten Freispruch bezeichnete er als „fast grotesk falsch“. In wenigen Tagen endet der dritte Prozess, und vieles deutet darauf hin, dass er entweder eingestellt wird oder wiederum mit einem Freispruch endet.
„Warum sollte es bei der Polizei ein Unrechtsbewusstsein geben, wenn ihr Tun gedeckt und gebilligt wird?“, fragt Vera Bergmeyer von der Condé-Ini. Die Ärztin schließt sich der Bundesärztekammer an, die sich bereits 2002 ausdrücklich gegen die Brechmittel-Vergabe ausgesprochen hat. „Auch wenn er gegen jede medizinische Ethik verstoßen hat: Der angeklagte Polizeiarzt ist nur Teil einer Struktur, die Grenzüberschreitungen und Zwangsbehandlungen überhaupt erst ermöglicht.“
Bis heute haben sich weder Thomas Röwekamp noch der damalige Bremer Justizstaatsrat Ulrich Mäurer (SPD) für die Brechmittel-Drogenpolitik entschuldigt, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2006 untersagt und als „Folter“ bezeichnet wurde. Mäurer lobte noch wenige Monate vor Condés Tod die Ermittlungserfolge: „Mein Dank gilt auch den Polizeibeamten und den Ärzten, die mit der Erledigung ihrer unappetitlichen Aufgabe die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Täter bestraft werden können“, sagte er dem Weser-Kurier. Inzwischen ist Mäurer Innensenator und nannte erst vor wenigen Tagen das Verhalten von sechs Polizisten, die zusahen, wie ein Kollege einen Wehrlosen verprügelte, „völlig korrekt“.
„Die Polizei bewegt sich in einem abgeschlossenen System“, sagt Bergmeyer, und das habe nichts mit „Bürgern in Uniform“ zu tun oder mit dem Selbstbild, man repräsentiere den Querschnitt der Bevölkerung. Dieser nämlich würde etwa die Untätigkeit der „völlig korrekt“ handelnden Bremer Polizisten als unterlassene Hilfeleistung bewerten. „Das Polizei-System ist streng hierarchisch geordnet“, sagt Bergmeyers Kollegin Gundula Oerter. „Wer nach oben will, muss mitmachen und still halten.“
Immerhin: Bremens Polizeipräsident Lutz Müller hat mittlerweile Bedauern über Condés Tod geäußert. Er plane, eine Gedenktafel im Polizeirevier aufzuhängen sowie an einer Broschüre zu dem Fall mitzuwirken. „Lippenbekenntnisse“, sagt Oerter. Sie fordert die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz und einer externen Ermittlungsstelle, „bei der sich Betroffene über Polizeigewalt beschweren können, ohne direkt mit einer Gegenanzeige rechnen zu müssen“.
Leser*innenkommentare
lowandorder
Gast
Sorry, aber, wenn ich das folgende lese:
"Nicht immer ist, was da geschieht, im juristischen Sinn unverhältnismäßig oder gar illegal. Auch nicht bei dem aus Sierra Leone stammenden Laye Condé, der Anfang 2005 in Bremen an den Folgen einer unter Zwang durchgeführten Brechmittelvergabe starb. Niemand hat etwas falsch gemacht – so sah es zumindest das Landgericht Bremen."
....ja dann denke ich, was - bitte - ist nun wessen Meinung?
Warum - mal weg vom Strafrecht, da geht es immer auch um Rechtfertigung und Schuld - greift niemand eine derartige Polizeimaßnahme als Betroffener vor dem Verwaltungsgericht Bremen an?
Eine Polizeimaßnahme mit einem derartigten Eingriff in die körperliche Integrität ist genau dann rechtswidrig und führt - als weiteres Folge zu uneingeschränkter Strafbarkeit, wenn es ein milderes Mittel gibt.
Genau das aber ist ersichtlich der Fall: absaugbare Klos und Zeit - that´s it.
Daß Strafrichter ( wiewohl das öffentliches Recht ist) mit dem Verfassungs-Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so ihre Probleme haben, ist leider allen Altgesellen, insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit hinlänglich bekannt;
und -ich geh mal davon aus Simone Schnase auch!
Amnesty könnte bzw hätte längst und leicht via eines Betroffenen eine solchen Prozess führen können und - müssen!
Kimme
Gast
Der tödliche Brechmitteleinsatz ist zu verurteilen. Die Frage ist, wie konnte das passieren? Hat der Arzt die Menge falsch dosiert,lag eine Unverträglichkeit vor oder hat sich das Mittel mit eventuellen Drogen im Blut zu einem gefährlichen Cocktail vermischt?
Bitte bleibt an dem Thema dran.
Jedoch sollteir, liebe TAZ, doch endlich mal von dem Bild abrücken, dass der Schläger, den die Polizei in Bremen vermöbelt hat, ein Unschuldiger war.
Steffen Geyer
Gast
Wenn tödlicher Brechmitteleinsatz an unbescholtenen Bürgern für die beteiligten Polizisten und Ärzte ohne juristische Folgen bleibt, verlieren wir alle, weil der Rechtsstaat verliert.