Von Zeit zu Zeit zu Ort: Eine höchst private Mythologie
Exponate von uneindeutigem Charakter: Die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst eröffnet einen Objekt-Parcours von Koenraad Dedobbeleer.
BREMEN taz | Zu Beginn wirkt es, als betrete man eine Art privaten Raum. Nicht unbedingt ein Wohnzimmer, dafür sind die Schwingtüren, die man beim Eintritt in den Ausstellungsraum passieren muss, doch ein wenig zu klotzig. Mit ihren dicken Balken erinnern sie an das Tor eines Schuppens, mit ihrem gleißenden gelben Anstrich an die Nachbildung eines archaischen Tempels. Hinter so einem Tor könnte ein spleeniger Jemand etwas sammeln, etwas basteln. Oder einer seltsamen Self-Made-Religion nachgehen.
Hinter dem Tor erstreckt sich dann aber die Ausstellung des belgischen Künstlers Koenraad Dedobbeleer. „A Quarrel In A Faraway Country Between People Of Whom We Know Nothing“ ist der Titel. Der Titel wirft Fragen auf: Was für eine Auseinandersetzung mag das sein? In welchem fern entlegenen Land?
Zwischen welchen Leuten, über die wir nichts wissen? Die Fragen bleiben unbeantwortet, sind vielleicht auch gar nicht zu beantworten. Stattdessen findet man sich in einem Parcours wieder, zwischen allerlei seltsamen Gegenständen: selbstgebauten Möbeln und Dingen des Alltags, Bildern aus Kunstgeschichte und Mythologie.
Was da in der Bremer Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) zu sehen ist, bildet eine Art Schnittstelle zwischen der Garage eines Bastlers, vielleicht auch Sammlers – und andererseits einem ätherischen, sakralen Raum. Ausgestellt wird eine Sammlung seltsamer und höchst unterschiedlicher Artefakte, Teil einer privaten Mythologie des Künstlers Koenraad Dedobbeleer.
Koenraad Dedobbeleer ist 1975 in Halle in Flämisch-Brabant, Belgien, geboren.
Seine Ausstellung „A Quarrel In A Faraway Country Between People Of Whom We Know Nothing“ ist noch bis 25. Januar, in der GAK, Bremen zu sehen.
Zum Abschluss stellt der Künstler selbst seine publizistischen Projekte vor (in engl. Sprache): 25. Januar, 16 Uhr
Teil also einer ästhetischen wie symbolischen Ordnung, die ganz Dedobbeleers persönlichen und intuitiven Regeln folgt. Ein System, das sich gegen Versuche sperrt, es von außen es zu entschlüsseln. Man kann sich hinein zu sehen oder zu fühlen versuchen in diese Welt, mit Neugierde und Empathie – verstehen jedoch wird man sie nie.
Bei der Eröffnung der Bremer Ausstellung saß der 1975 geborene Künstler hinter einem verzweigten Metallgestell auf einem Metallzylinder. In einer kugelrunden Kanne kochte er auf einer Gasflamme grünen Tee und servierte ihn in kleinen Schalen an die Besucher. Die Teeküche ist Teil der Ausstellung, auch das Geschirr hat er selbst entworfen. Ist das nun also Design oder doch Kunst? Auf jeden Fall ist es Teil seines ganz eigenen Universums.
Von solchen Gebrauchsgegenständen, ebenso wie vom Künstler selbst angefertigte Ausstellungsmöbel, sind nun in Bremen etliche zu sehen: seltsame Sockel aus braun lackiertem Metall etwa, die an dicke Abflussrohre erinnern. Auch hier könnte sich die Frage nach Kunst oder Gebrauchsgegenstand stellen.
Tatsächlich gibt es da aber keinen einzigen Gegenstand, von dem sich sagen ließe, er sei nur Möbel. Und entgegen der sachlichen Neutralität, die man von einem Sockel vielleicht erwarten würde, sind diese hier selbst Artefakte.
Sie reihen sich ein in eine Gruppe anderer, kultisch anmutender Exponate. Die stehen gleichberechtigt neben der Kopie eines Kopfes der Oba-Dynastie aus Benin. Den wiederum präsentiert man auf Augenhöhe mit zwei farbigen Kunststoffflaschen – einer roten für Ketchup, einer gelben für Mayonnaise. Dedobbeleer zeigt sie, wie Reliquien in Kirchen oder ethnologische Gegenstände im Museum gezeigt werden. Obwohl sie heute allgegenwärtige Massenprodukte sind, macht die Präsentation als einzelne Gegenstände sie nun zu etwas Besonderem. Ethnografischer Art sind sie ohnehin – Zeugnisse einer bestimmten Form kultureller Gemeinschaft.
Manchmal verschwimmen die Grenzen auch in der Gestalt der Dinge selbst: Zwei ganz normale Holzlöffel aus einem Öko-Fastfood-Restaurant, die zu Dedobbeleers Sammlung gehören, wirken dann, als hätten sie ihre Vorbilder im Haushalt eines Lateinamerikanischen Stammesvolkes.
Mit solcherlei Effekten spielt Dedobbeleer oft. In seinem Bremer Parcours ist auch eine Figur zu sehen, die man vielleicht aus dem Comicband „Tim und Struppi und der Arumbaya-Fetisch“ kennt: In Stein dargestellt ist eine männliche Figur mit Mütze, die Arm und Bein auf der linken Seite nach vorne schiebt. Im Comic geht es um den Diebstahl dieser archaischen kolumbianischen Skulptur aus dem Brüsseler Museum für Völkerkunde. Dedobbeleer, der in Brüssel lebt, zeigt nun eine Gipsversion, die nicht dem Original aus dem Museum entspricht, sondern der Version aus dem Comic – die im Übrigen als die populärere Fassung im Brüsseler Museumsshop verkauft wird.
Ein Bildhauer, der immer wieder in der einen oder anderen Form bei Dedobbeleer vorkommt, ist Constantin Brancusi (1876– 1957). Auf einem metallenen Ständer sind Bilder von mehreren seiner Arbeiten zu sehen. Die Präsentation ist leicht sakral, erinnert an die metallenen Halter für Toten- und Heiligenbilder in Kirchen. Im Foto gezeigt werden Brancusis Kostümentwürfe für ein Stück des Komponisten Erik Satie. Darin zeigt sich ein Zug der Moderne, der sich – durch vereinfachte, naive Formen – an archaische Vorbilder anlehnt. Ähnlich gestaltete Brancusi auch seine berühmten Säulen und Köpfe.
Was sich nun an Dedobbeleers Parcours sehr schön erkennen lässt, ist ein komplizierter Wechsel zwischen den Zeiten und Orten: Zwei Diaprojektoren werfen über Eck Aufnahmen aus einem Atelier an die Wände: Mit der Kamera hat Dedobbeleer die Wände abgetastet. Und so schieben sich die Blicke nun von Dia zu Dia über diese Atelierwände und den daran angebrachten Fotografien, Drucken und Postkarten. Man sieht die Aufnahmen antiker Statuen, griechischer Gottheiten wie Poseidon etwa, aber wiederum auch Brancusis ovale Bronzeporträts.
Auch die Zusammenstellung und Auswahl dieser Bilder ist natürlich Teil von Dedobbeleers Privatmythologie. Aber so eigen sein Kosmos auch sein mag, setzt er sich doch zusammen aus Materialien, Formen und Bildern, die von dieser Welt sind.
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