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Von Wahrheit und Dichtung

CDU-Fraktionschef Steffel legt fünf Wochen nach seinem Beinahe-Aus ein Thesenpapier vor, spricht von „Aufbruchsgeist und Gemeinschaft“ einer Klausurtagung – und watscht seine Vize Grütters ab

„Die konservativen und liberalen Wurzeln sind ausgetrocknet“

von STEFAN ALBERTI

Es gibt Sätze, die zum Zitieren wie gemacht sind. Politiker wissen das, und netterweise fetten sie solche Sätze in ihren Texten. Das macht auch CDU-Fraktionschef Frank Steffel so. Sein Problem ist: Nur Form reicht nicht. Volkspartei solle die Union wieder werden, sagte er am Wochenende nach einer Klausurtagung des Fraktionsvorstands. Ihre konservativen und liberalen Wurzeln seien in der Regierungszeit der Union etwas ausgetrocknet, sie müssten „dringend umgetopft werden“. Das klang wie eine Generalabrechnung mit alter CDU-Politik. Doch weder mochte Steffel konkret sagen, wo die alte Diepgen-CDU von Parteiwurzeln abwich, noch Begriffe wie „konservativ“ definieren.

An zwei Tagen hatte der Fraktionsvorstand mit den Spitzen des Landesverbands an der Zukunft der Berliner CDU gebastelt, sich auf einen pragmatischen Kurs statt Fundamentalopposition verständigt. Sieben Seiten lang ist Steffels Thesenpapier „Berlin neu denken“, für das er Zustimmung von Landeschef Christoph Stölzl und Generalsekretärin Verena Butalikakis erhalten haben will. Darin reißt er unter anderem eine andere Finanzierung des Sozialstaats an, für die er auch Kapitalerträge aus Vermietung und Verpachtung oder Staatseinnahmen aus Gebühren nutzen will. Steffel schloss nicht ausdrücklich Vermögen- oder Erbschaftsteuer aus, ohne aber die Begriffe selbst zu verwenden. „Ich möchte die Debatte nicht mit einem Schlagwort belasten“, sagte er.

„Aufbruchsgeist und Gemeinschaft“ prägten laut Steffel das Klausurtreffen im Potsdamer „Best Western Park Hotel“. Nett gab er sich auch noch zu Beginn des anschließenden Pressegesprächs. „Monika, willst du hierher?“, rief er seine Stellvertreterin – und als liberal eingeordnete Kritikerin – Grütters neben sich. Als die aber in ihrem Fachgebiet Hochschulpolitik dem Chef widerspricht, ist es vorbei mit der Gemeinschaft. Steffel watscht seine Vize öffentlich ab – die habe sich bei der Klausur nicht zu Wort gemeldet. Grütters bestritt das auf Nachfrage. In den letzten Wochen soll es bereits harte persönliche Anwürfe von Steffel gegen Grütters gegeben haben. Der ebenfalls zum liberalen Flügel der CDU gezählte Fraktionsvize Mario Czaja hatte zur Klausur erst gar keine Einladung erhalten. Er hatte zwar zuvor angeben, am Wochenende verhindert zu sein. Laut Czaja gehört es aber zum üblichen Gebaren, auch in solchen Fällen einzuladen.

Selbstbewusst und mit bislang ungekannter Selbstironie kam Steffel aus der Klausur. „Wer Investoren den roten Teppich ausrollen will, muss auch etwas davon verstehen“, weiß eine neue Werbepostkarte der CDU-Fraktion – Kritiker hatten den langjährigen Unternehmenschef Steffel oft als „Teppichhändler aus Reinickendorf“ bezeichnet. Zugleich widersprach Steffel einem Angebot von Parteichef Stölzl, der der SPD indirekt eine Neuauflage der großen Koalition angeboten hatte. „Eine Anbiederung an andere Parteien ist für die Berliner CDU nicht notwendig“, sagte Steffel der Morgenpost.

Es ist erst fünf Wochen her, da stand der Fraktionschef noch auf der Abschussliste. Nach der Bundestagswahl sollte er weg als Chef der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Peter Kurth, der ehemalige Finanzsenator, stand dem Vernehmen nach als Nachfolger bereit. Dass es dazu nicht kam, verdankt Steffel Parteichef Stölzl und seinem vom Abgeordnetenhaus gerügten Nazi-Vergleich am Wahlabend. Beide Köpfe in der Bredouille, dass wäre zu viel für die Berliner Union gewesen – die für die Fraktionssitzung zwei Tage nach der Wahl geplante Führungsdebatte fiel aus

Auch Czaja, der am Mittwoch den früheren Senator Elmar Pieroth als Kreisvorsitzenden in Marzahn-Hellersdorf ablösen soll, sprach sich gegenüber der taz für Reformen der CDU aus. Demnach soll Landeschef Stölzl die Basis einbeziehen, auch Fragen wie die Länderstruktur oder die einer Mittelstandsbank diskutieren lassen. Czaja regt auch an, über eine Landesliste bei Wahlen nachzudenken – wie die SPD – und nicht Delegierte, sondern alle Parteimitglieder über Kandidaten entscheiden zu lassen. Die Führungsfrage in der Fraktion mit Steffel kommt für Czaja erst nach solchen inhaltlichen und strukturellen Diskussionen. „Deswegen steht die Personalfrage derzeit nicht an.“

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