Von Spotify zur Waffenschmiede: Missbrauch von Musikgerät
Der Musik-Streamingdienst Spotify ist der Musik selbst nicht zuträglich. Aber ordentliche Gewinne macht er, die er in fragwürdige Industrien steckt.

K ennen Sie das? Man erfährt ein kleines Detail und plötzlich lösen sich etliche Rätsel auf einmal, ergeben die widersprüchlichsten Informationen auf einmal Sinn, fügt sich alles zu einem großen kausalen Gebilde zusammen …
Ich sage nicht, dass es genau so war. Aber es würde vieles erklären. Also: Kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts erhält die Vollversammlung der Musikschaffenden Besuch von Mephisto oder einem anderen Abgesandten und Wiedergänger des Leibhaftigen, Satans, des Teufels. Er machte diesem kleinen, scheuen, kränkelnden und nicht besonders widerstandsfähig oder gar durchsetzungsfähig wirkenden Sorgenkind von Mutter Kultur ein Angebot: „Wollt ihr groß, mächtig und sehr, sehr sexy werden?“ Ja, Leibhaftiger, ja! Okay, Deal!
Mephisto schob der Musikindustrie allerlei technische Neuerungen zu, die er eigentlich hatte entwickeln lassen, um die Kriegsführung zu perfektionieren. „Missbrauch von Heeresgerät!“, rüffelte ein Vorgesetzter den Techniker Dr. Hans Bredow, als der 1917 den deutschen Frontsoldaten in den Ardennen mit etwas Musik über Funk den Alltag im Schützengraben ein wenig erträglicher zu machen versuchte, so erzählte es der Berliner Medientheoretiker Friedrich Kittler in „Grammophon, Film, Typewriter“ (1986).
Funk und Mikrophonie waren aber erst der Anfang, die „Kriegsbeute Tonband“ war der nächste Meilenstein. Und „als Karlheinz Stockhausen zwischen Februar 1958 und Herbst 1959 im Kölner Studio des Westdeutschen Rundfunks als erste elektronische Komposition seine ‚Kontakte‘ abmischte, stammten Impulsgenerator, Anzeigeverstärker, Bandfilter, Sinus- und Rechteckoszillator alle aus ausrangiertem Gerät der US-Army“, so Kittler.
Unbesiegbar geworden durch die Ausstattung mit mephistophelischem Heeresgerät (und verstärkt durch ein Juristenkorps) wurde aus einem verlorenen Häuflein scheuer Musikanten die Musikindustrie und ihre Führungskader konnten märchenhaften Reichtum ansammeln. Bis das Laufzeitende des teuflischen Vertrags näher rückte und Mephisto sich dran machte, den ihm versprochenen Benefit zu realisieren.
Daniel Ek investierte 592 Millionen Euro in die Helsing GmbH
2006 wurde der schwedische Audiostreamingdienst Spotify gegründet, erwuchs schnell (mit seinen kleinen Schwestern) zum hegemonialen Musikvertriebskanal, packte die Musikschaffenden an den Fußgelenken und schüttelte ihnen die mit Musik verdienten Piaster aus den Hosentaschen. Und als genug Kapital zusammengekommen war, schaufelte es Mephisto in der Tarnidentität des Spotify-Chefs Daniel Ek in einen großen Sack und kaufte davon …? Eine Waffenschmiede natürlich!
Ek investierte umgerechnet 592 Millionen Euro in die Münchner Helsing GmbH, ein Softwareunternehmen, das sich auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Rüstungssektor spezialisiert hat. 592 Millionen Euro aus erwirtschafteten Einnahmen, die nicht an Kreative ausgeschüttet wurden. Denn wie viel ausgeschüttet wird, bestimmt Spotify selbst – take it or leave it.
Und während bei Spotify zunehmend Künstliche Intelligenz menschliche Kreative an den Rand drängt und die Kompetenz im KI-Training, die sich Spotify in den vergangenen Jahren via Musik erworben hat, nunmehr womöglich beispielsweise für die Produktion von autonomen Kampfrobotern tod- und gewinnbringend eingesetzt wird, bleibt für den musikschaffenden Menschen am Ende wohl nur noch das Mundharmonikaspielen in der Fußgängerzone oder der Posten als Hof-DJ in irgendeinem der neuen Fürstentümer. Ich sage nicht, dass es so war und so sein wird, aber …
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