Analyse: Von Kohl lernen...
■ Zum ersten Mal tritt der rot-grüne Koalitionsausschuß zusammen
Im sechsten Abschnitt des Grundgesetzes sucht man den Koalitionsausschuß vergebens, obgleich dort die Entscheidungsstrukturen der Bundesregierung festgelegt sind: Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, jeder Bundesminister leitet seinen Geschäftsbereich selbständig, über Meinungsverschiedenheiten entscheidet die Bundesregierung. Kein Wort von einem Koalitionsausschuß, jenem Gremium, das der Politologe Wilhelm Hennis den „krassen Ausdruck des zugleich ängstlichen wie machtversessenen Parteienstaates“ nannte. Der Satz war auf die wöchentlich tagende Runde der Spitzen von Partei, Fraktion und Regierung gemünzt, die der zentrale Modus operandi der Machtmaschine Kohl war. Kaum ein Gesetz, das dort nicht auf die Elle des geringsten Widerstandes gestutzt wurde.
Trotz dieses verfassungslosen Zustandes vereinbarten auch SPD und Grüne, daß bei „Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung“ je acht Personen sich zusammensetzen. Der Koalitionsausschuß „führt in Konfliktfällen Konsens herbei“. Weil folglich jeder bei einer solchen Zusammenkunft auf einen Konfliktfall schließen kann, sperrte sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck gegen den Eindruck, daß am heutigen Abend der Koalitionsausschuß tagt. Also treffen sich lediglich auf Seiten der SPD Kanzler Schröder, Kanzleramtsminister Hombach, Parteichef Lafontaine und sein Geschäftsführer Schreiner sowie Struck und sein Geschäftsführer Schmidt und auf Seiten der Grünen die drei Minister Fischer, Fischer und Trittin, die Fraktionsspitze Schlauch, Müller und Heyne sowie die Parteivorsitzende Röstel, um über „das Klima“ in der Koalition zu reden.
Das Klima ist gestört, allerdings weniger in der Koalition als vielmehr innerhalb der SPD. Den Grünen hingegen bescheinigt Schröder, sie seien „diszipliniert“. Ein Attribut, das auf seine eigene Truppe nicht ganz zutrifft. Als letzte Woche der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement die Belastung der Wirtschaft durch die Steuerreform beklagte, als die SPD zu einer neuen Regelung des 620-Mark-Gesetzes fand, die der alten in wesentlichen Mängeln ähnelte, als die SPD-Ministerpräsidenten sich über Einnahmeeinbußen beklagten, da hielten die Grünen den Zeitpunkt für gekommen, den Koalitionsausschuß einzuberufen. „Kommunikationsstörungen“ lautete die Fehleranalyse, doch geht es auch um Interessensunterschiede. So wollen die Grünen Nachbesserungen der Ökosteuerreform. Und die SPD will über das Atomausstiegsgesetz aus dem Hause Trittin reden, über das sich bereits die Atomkonzerne beklagen. Auch eine höhere Nettoneuverschuldung ist nicht vom Tisch. Genug Gesprächsstoff also, um die Runde demnächst durchaus wöchentlich tagen zu lassen. Dieter Rulff
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