Von HIV für Corona lernen: Leben mit dem Virus
Die Infektionskrankheiten Covid und Aids lassen sich kaum vergleichen. Doch der Kampf gegen Corona wäre deutlich schwerer, hätte es HIV nicht gegeben.
Die Welt hat was gelernt, zumindest ein klein wenig: Das ist die gute Nachricht zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Das HI-Virus hat unzählige Opfer gefordert, in Zeiten, in denen es längst Medikamente gegeben hätte, um sie zu retten. Aber immerhin: Heute, in der Coronakrise, können Staaten weltweit auf eine medizinische Infrastruktur zurückgreifen, die es ohne HIV nicht geben würde.
Auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie, in den Jahren 2004 bis 2006, starben weltweit jährlich 1,7 Millionen Menschen an der Krankheit. 2019 waren es noch 690.000. Immer noch zu viele – und trotzdem könnte es viel schlimmer sein. Denn heute leben global 38 Millionen Menschen mit dem Virus, über 10 Millionen mehr als 2005.
Warum deutlich weniger sterben? Heute werden mehr als 25 Millionen Menschen regelmäßig mit wirksamen antiviralen Medikamenten behandelt. 2009 waren es nur 6 Millionen. Sie lebten meist in den Industrieländern; in Entwicklungsländern konnten sich viele Menschen die überteuerten Medikamente nicht leisten.
Nun lassen sich HIV und Corona in vielerlei Hinsicht nicht vergleichen: Die Übertragungswege sind anders, an HIV erkrankten relativ wenige, dafür war das Virus für alle, die es hatten, vor der Entwicklung von Medikamenten ein Todesurteil. Sars-CoV-2 verbreitet sich dagegen rasend schnell, dafür tötet es nur in den wenigsten Fällen. Dennoch schreibt jetzt UN-Aids in einem Bericht: „Aus unsem jahrzehntelangen Kampf gegen HIV lassen sich wesentliche Lehren ziehen.“
Dieselben Kämpfer
Eine Menge Leute, die in den nuller Jahren während der HIV-Krise gesehen haben, zu welchem Leid mangelnde globale Kooperationen führt, kämpfen heute gegen Covid-19. Einer davon ist Anthony Fauci, der Kopf der Pandemiebekämpfung in den USA. Er hielt in den nuller Jahren auf Aids-Konferenzen Appelle für eine globale Verteilung von HIV-Medikamenten.
In Äthiopien oder Südafrika leiten die Chefs der nationalen Anti-Aids-Programme nun auch die Maßnahmen gegen Covid-19; in zahlreichen anderen Entwicklungsländern sieht es ähnlich aus. Der Grund ist einfach: Ihnen steht in ihren Ländern eine komplette Infrastruktur zur Verfügung, mit der normalerweise HIV-Medikamente oder andere Impfstoffe verteilt werden.
Ein gigantischer Markt
Dazu kommt ein zweiter Punkt, den die ehemalige Leiterin des Unitaid-Medikamentenpools, die niederländische Anwältin Ellen ’t Hoen, in der taz ausführlich beschrieb: Es gibt heute ein Geschäftsmodell für Menschlichkeit. In der HIV-Krise weigerten sich die Pharmakonzerne der Industrieländer bis Ende der nuller Jahre, ihre wirksamen antiviralen Medikamente von Generikaherstellern günstig für Entwicklungsländer produzieren zu lassen. Indien tat dies teilweise trotzdem, durfte die Medikamente aber nicht exportieren, in Südafrika starben ungezählte Menschen, weil Therapien unbezahlbar waren. Unitaid kauft Medikamente gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose und hat ein Netzwerk aufgebaut, das weltweit für deren Verteilung sorgt.
Unitaid und ’t Hoen verhandelten jahrelang an einem rechtssicheren, globalen System, bei dem Pharmakonzerne ihre Impfungen und Therapien in Lizenz in Entwicklungsländern herstellen lassen und dort auch deutlich günstiger verkaufen als in Industrieländern. Für die Pharmakonzerne bedeutete das vor allem: Zugang zu einem gigantischen Markt. Dieses System funktioniert nun seit gut einem Jahrzehnt relativ reibungslos – und führt nun dazu, dass beispielsweise die britische AstraZeneca ihren Covid-Impfstoff für Entwicklungsländer in Indien produzieren und von dort aus exportieren lässt.
Ob allerdings die Industrieländer die ersten Impfdosen auch global verteilen oder zunächst für sich behalten, das steht auf einem anderen Blatt.
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