Von Geflüchteten gestaltete Ausstellung: Ein kleiner Daumenabdruck aus Blut
An der Ausstellung „daHEIM“ im Museum Europäischer Kulturen in Berlin haben viele Geflüchtete gearbeitet. Sie erzählen Europas neue Geschichte.
Ein Kreis für das Gesicht, ein Rechteck für den Torso, Strich, Strich, Strich, Strich für Arme und Beine, so zeichnet Yasir Sultan Abdelkadir eine Figur. Und noch ein paar Punkte für den Ausdruck im Gesicht – ängstlich, erschrocken? Mit unzählbar vielen dieser Strichmännchen hat der junge Mann, der im Irak einmal als Industriesticker gearbeitet, eine Museumswand in Berlin-Dahlem bevölkert, alle in Schach gehalten von einem großen, bewaffneten Mann.
Yasir Sultan Abdelkadir lebt in einem Wohnheim für Asylsuchende in Berlin-Spandau. In seinem Zimmer hat er eine Wand rosa bemalt, um nachts, in schlaflosen Nächten, etwas vor Augen zu haben, das er beruhigend findet. Im Museum aber hat er sein Trauma an die Wand gezeichnet. Er lebte in Mossul und wurde, als die Stadt vom IS eingenommen worden war, verhaftet und gefoltert.
Dass bei Hinrichtungen die Bevölkerung zusehen musste und muss, diese Grausamkeit, die meint er in seinem Bild. Und er fürchtet jeden Tag um seine Familie, die noch dort lebt. „In the middle of nowhere“, so fühlt er sich.
Erinnerungsstücke für Abgeschobene
Im Wohnheim in Spandau begann im Februar 2015 Barbara Caveng, eine Deutschschweizer Künstlerin, mit den Bewohnern in vielen kleinteiligen Projekten zu arbeiten. Sie schufen in einem Bauwagen ein Museum mit Erinnerungsstücken für Abgeschobene, sie bauten Möbel für den Vorplatz, legten Beete an, hinterfragten in Fotoaktionen die Typisierung der Bilder von Flüchtlingen.
Mit bei „Kunstasyl“, so der Titel des Projekts, war von Anfang an Aymen Montasser, ein junger Architekt aus Tunesien, und bald auch Dachil Sado, den die beiden als verschrockenen Flüchtling vor dem IS im Irak in dem Spandauer Heim kennengelernt hatten. Heute ist er Kunststudent in Weißensee und einer der Kuratoren der Austellung „daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben“, die am Donnerstag, 21. Juli, im Museum Europäischer Kulturen eröffnet.
Viermal die Woche ging er in den letzten fünf Monaten, nach seinem Deutschkurs am Morgen, entweder in das Wohnheim in Spandau oder ins Museum in Dahlem, um das große Gemeinschaftsprojekt der Ausstellung zu organisieren. „Das ist so erstaunlich“, sagt Dachil, „dass wir diesen Raum gemeinsam gestalten können, obwohl wir doch alle so unterschiedlich sind, so verschieden im Glauben, so unterschiedliche Erfahrungen haben.“
Schwer wie ein Fels
Er hat das Logo für „Kunstasyl“ entworfen, einen großen Daumenabdruck, den schwer wie ein Fels eine Figur auf dem Rücken trägt. Der spielt auf die Belastung an, als „Flüchtling“ identifiziert und kategorisiert zu werden. An seiner Wand im Museum ist auch ein kleiner Daumenabdruck aus Blut. „Printing with blood“, erklärt er mir, nannte man in Syrien die erzwungene Abstimmung bei einer Wahl für den Diktator Hafis al-Assad.
Die Spannung zwischen dem Wunsch, als Individuum gesehen zu werden und als solches freiheitliche Rechte zu genießen, und dem Eingeordnetwerden in eine anonyme Masse ist visuell prägend für die Ausstellung. Serxhio Sulaj, 17 Jahre alt und aus Albanien, hat auf die Rückseite einer Wand, die vorne mit Dokumenten des LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) beklebt ist, die Schlange der Wartenden gezeichnet, die sich hinter dem Gebäude anstellen müssen.
Dicht drängen sie sich, dichte schwarze Schatten, bis eine Bewegung wie eine Welle in sie hineingreift und sie hoch durch die Luft wirbelt. Das ist unschwer zu lesen als die Erinnerung an das Meer, in dem so viele ertrunken sind; aber auch die abwertende Metapher von der „Flut der Flüchtlinge“ wird wachgerufen.
Aufgehoben im Museum
Seit März wird an der Ausstellung in den Räumen des Museums und auch im Heim gearbeitet. Einige, die anfangs dabei waren, sind inzwischen abgeschoben, andere konnten Wohnungen beziehen und machten weiter mit. Man kann sich vorstellen, dass der Weg vom Stadtrand Spandau ins gutbürgerliche Dahlem, wo die Museen zwischen Universitätsinstituten in alten Villen liegen, ein wohltuender Ortswechsel war. Den Museumsraum nutzen zu können bedeutet viel. Hier repräsentieren sich die Geflüchteten – über 100 haben mitgearbeitet – selbst und stehen zugleich für einen Teil europäischer Geschichte, der jetzt geschieht.
Ganz konkret boten die Museumsräume auch eine andere Art von Aufgehobensein als das Heim. Barbara Caveng erinnert sich an einen Syrer, der vor Sorgen um seine Familie in Aleppo kaum schlafen konnte. Im Museum gelang es ihm plötzlich zu schlafen, während andere um ihn herum arbeiteten.
Die Ausstellung „daHEIM. Einsichten in flüchtige Leben“ eröffnet am 21. Juli um 19 Uhr im Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem. Bis Juli 2017. Das Projekt Kunstasyl kann man über seine Website besuchen.
Das ging auch, weil im Museum Betten waren. Denn Bettgestelle aus Wohnheimen sind das Material, aus dem einige Installationen gebaut wurden. Wie ein Zaun um ein Flüchtlingslager, an dem die Bewohner mangels anderer Möglichkeiten ihre Kleider aufhängen, wie es Barbara Caveng in Idomeni gesehen hat; ein schaukelndes Boot; ein Verhau aus Gittern, in dem Fotografien an das erinnern, was die Geflüchteten verlorenen haben – ihr Zuhause, ihren Alltag.
Dächer bauen
Ein Dach über dem Kopf als Bild für das „daHEIM“ taucht mehrfach in der Ausstellung auf. Bereket Kibrom hat ein Dach aus Weiden und Stroh gebaut, in Originalgröße, wie er es in Eritrea für viele Familien gebaut hat. Er ist vor einer Diktatur geflohen, die ihn zu lebenslangem Militärdienst verpflichten wollte. Er hat nicht nur den Adego gebaut, der jetzt vor dem Museum steht, sondern sein Wissen über die Technik auch in einem Workshop vermittelt.
Das zweite Dach in der Ausstellung ist keins mehr: Verkohlt sind die Dachlatten in einem Giebel aus Bettgestellen. Der könnte das Haus von Zineta Jusic meinen, die im April nach Bosnien abgeschoben wurde. Von dort war sie 2012 nach einem Brandanschlag auf das Haus ihrer Romafamilie geflohen. Sie schickte nach der erzwungenen Rückkehr Fotos an das „daHEIM“-Team, auf denen die verkohlten Dachlatten ihres Hauses noch immer in den Himmel ragen.
All diese Geschichten sind erschreckend und haben doch viele Parallelen zu Europas Vergangenheit. Durch die Zeichnungen der Heimbewohner winden sich an den Museumswänden Sätze aus Anna Seghers Roman „Transit“ über ihre Flucht aus Nazideutschland 1933. Was sie erzählte, klingt für die Ausstellungsteilnehmer oft wie ein Echo auf die eigene Geschichte. „Sofort gab es eine Schlange von Menschen, die alle hofften, gerade mit diesem Schiff unseren Erdteil zu verlassen, ihr bisher gelebtes Leben“. schrieb Anna Seghers.
Bildungshunger
Sie haben nicht nur Anna Seghers gelesen, sondern auch Dante. Bilder von William Blake und Hokusai betrachtet. Die Ausstellungen in Dahlem besucht. Wenn Barbara Caveng von der langen Vorbereitungszeit der Ausstellung erzählt, scheint dabei auch ein Motiv der Geflüchteten auf, das in der Debatte über Flucht selten angesprochen wird: Bildungshunger, oft eng verknüpft mit der verweigerten Freiheit in den Herkunftsländern.
Es ist überraschend, aber es gibt in der Ausstellung auch viele tröstende Zitate der Teilnehmer, in denen sie ihr Hiersein als Glück empfinden. Manche davon sind berührend poetisch: „I looked up at the stars and somewhat comforted – I don’t know why – thought that these stars were there for me and people like me rather than for those who where now turning on the lights.“
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